Studierende der Universität Halle-Wittenberg (Roman Ahrens, Josefin Freygang, Liesa Krüger, Richard Minkus, Mathias Schönknecht, Steffi Schültzke, Sarah Wahnelt) haben im Rahmen eines Bachelor-Seminars den „Filmstandort Mitteldeutschland“ untersucht. Diesen betrachteten sie aus der Perspektiven: Drehort, filmkultureller Standort und Filmwirtschaftsstandort.
Sie trugen eine Vielzahl von Daten zusammen, so zur Aus- und Weiterbildungssituation Einrichtungen, Angebote, Studiengänge), zur Arbeitsmarktsituation, zur Zahl der Kinoprogrammpreise und der Kinonutzung und -förderung, zur Region als Filmkulisse sowie zum Image des Filmstandortes.
Somit liegt eine gute Beschreibung der Lage vor. Dabei stellen sie fest:
Profilierung/Image
- Sachsen-Anhalt („Filmland Sachsen-Anhalt“) und Thüringen (Kindermedienland“) versuchen sich ein Filmimage zu geben, für Sachsen ist keine Profilierung durch die Politik zu erkennen. (S. 43) Thüringen weist „das differenzierteste Image und Profil der drei mitteldeutschen Bundesländer auf. (S. 44)
Filmstandort/Medienlandschaft
- Mitteldeutschland besitzt eine vielseitige Medienbildungslandschaft, diese ist jedoch nicht unbedingt film- und fernsehspezifisch. (S. 11)
- In Mitteldeutschland gibt es 209 Unternehmen, die in der Medienbranche tätig sind. (S. 27)
In Sachsen gibt es 127 Unternehmen der Filmbranche, von denen 54 Prozent mit der Produktion befasst sind. Sachsen-Anhalt hat 38 Unternehmen (50 Prozent in der Produktion) und Thüringen 44 Unternehmen (61 Prozent in der Produktion). Jedes zweite sächsische Unternehmen hat seinen Sitzt in Leipzig. Sowohl für Halle wie auch für Erfurt gilt, dass die Mehrheit der im Land ansässigen Unternehmen dort ihren Sitz haben. In jedem Bundesland Mitteldeutschlands gibt es „ein geografisches Zentrum sowie einen nachgeordneten Standort“. (S. 26)
- Es gibt in der Region nur zwei Filmverleiher, die sich einem der beiden Verbände (AG Verleih bzw. Verband der Filmverleiher e.V.) angeschlossen haben. (S. 28)
- In der Filmwirtschaft Mitteldeutschlands gibt es weniger sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse als in anderen Wirtschaftsbereichen. Betrachtet man alle Wirtschaftsbereiche, hat Mitteldeutschland 10,8 Prozent aller gemeldeten Arbeitsstellen aufzuweisen, im Bereich Film und Fernsehprogramme, Verleih und Vertrieb sowie Kino waren es im Mai 2015 nur 5,3 Prozent. (S. 14)
- Verglichen mit anderen Wirtschaftsbereichen sind in der Filmwirtschaft weniger umsatzsteuerpflichtige Unternehmen vorzufinden. Deren Gesamtzahl machte in 2013 einen bundesweiten Anteil von 9,6 Prozent aller Unternehmen aus, in der Filmwirtschaft sind es nur 5,5 Prozent. „Hier stehen 4 Prozent des gesamten Umsatzes in Mitteldeutschland 1,6 Prozent des gesamten filmwirtschaftlichen Umsatzes gegenüber.“ (S. 16)
- „Während in der gesamten Republik immer weniger Firmen der Filmwirtschaft kontinuierlich höhere Umsätze erwirtschaften, ist die Entwicklung in Mitteldeutschland anders. Hier stiegen sowohl die Anzahl der Unternehmen als auch die Umsätze leicht an.“ (S. 16)
- Bundesweit gab es 2015 16.740 Freelancer. Davon waren 774 (4,62 Prozent) in Mitteldeutschland tätig. Zwei Drittel von ihnen sind in Sachsen. (S. 30)
- In Mitteldeutschland werden durch Selbstständige bis auf PR 22 der für die Branche notwendigen 23 Tätigkeitsfelder (Regie, Ausstattung, Kamera, Ton, Web etc.) abgedeckt (S. 32) Allerdings hat Berlin-Brandenburg weniger Einwohner als Mitteldeutschland, jedoch achtmal mehr Selbstständige in der Filmbranche. (S. 33)
Fernsehsender
- Nach dem MDR-Produzentenbericht wurden im Jahr 2013 vom MDR über 49,5 Mio. Euro für TV-Produktionen ausgegeben. 43,5 Mio. Euro wurden in Auftragsproduktionen investiert. Ein relativ großer Teil dieses Budgets, rund 18,5 Mio. Euro, ging an unabhängige Produzenten außerhalb Mitteldeutschlands. (S. 30)
- Der Kinderkanal investierte 2013 ca. 10,7 Mio. Euro in Auftrags- und Koproduktionen. Davon flossen nur 1,54 Mio. Euro an Firmen in der Region. (S. 30)
- „Für Sachsen ist in Bezug zum gesamten Bundesgebiet festzustellen, dass der durch Rundfunkveranstalter erwirtschaftete Umsatz im Verhältnis zum Umsatz der ansässigen Unternehmen ausgesprochen hoch ist.“ (Das zeigt die Dominanz des MDR. – S. 16)
- „In der Gesamtheit betrachtet sind in ganz Mitteldeutschland sechs (private) bundesweite Fernsehprogramme lizensiert. Davon produziert kein einziger Sender hautsächlich in Mitteldeutschland.“ Im Vergleich mit anderen Landesmedienanstalten führen die mitteldeutschen Landesmedienanstalten nur über sehr wenige Sender die Aufsicht (MABB: 41, MA HSH: 21 – S. 29)
Kinolandschaft
- „Die Nutzung und Auslastung der noch vorhandenen Kinos in den mitteldeutschen Bundesländern ist vergleichsweise gering. Dem gegenüber steht eine relativ hohe Anzahl von Spielstätten. Auch im Bereich der Kinoförderung sowie regionalen Preisen steht die Region im bundesweiten Vergleich eher auf hinteren Plätzen und dies mit weitem Abstand zu den führenden Filmländern.“ (S. 36)
Festivallandschaft
- Im Jahr 2012 fanden in der Region 17 Filmfestivals statt. Derzeit kann man in der Region 19 Filmfestivals finden. Für NRW werden derzeit 27 Filmfestivals gezählt. (S. 41 – Hinweis: das Dresdner Schmalfilmfestival ist nicht aufgeführt.)
Aus- und Weiterbildung
- Die Mehrheit der Teilnehmer einer Befragung stellt fest, dass sie nicht angemessen entlohnt wird. (S. 48) Zudem werden das Hochschulangebot sowie das Weiterbildungsangebot im Bereich der Filmbranche als nicht ausreichend eingeschätzt. (S. 52)
Kino- und Filmförderung
- Die mitteldeutsche Medienförderung hat im Bundesvergleich den viertgrößten Etat für wirtschaftliche Filmförderung. Etwas mehr als die Hälfte aller vergebenen MDM-Förderungen gehen an Firmen, die ihren Hauptsitz in Mitteldeutschland haben. Berlin-Brandenburger Firmen stellen einen Großteil der Firmen dar, die als Firmen von außerhalb die MDM-Förderung erhalten.“ (S. 19)
- Die Förderung des Medienboards Berlin-Brandenburg ist anders verteilt: „Die Fördersummen gehen immer zu mehr als 84 Prozent an Produktionsfirmen aus dem Raum Berlin-Brandenburg.“ (S. 23)
- Es ist „nicht festzustellen, dass in Mitteldeutschland eine überdurchschnittlich große Anzahl an Dienstleistern oder Freelancern vorhanden ist.“ (S. 22) Die Vergabe der Mittel der MDM an Firmen außerhalb der Region hat also nicht zu zusätzlichen Arbeitsplatzeffekten in der Region geführt.
- Es können betreffs der MDM „keine Rückschlüsse gezogen werden, ob mitteldeutsche Produktionsfirmen aufgrund der großen Konkurrenz aus Berlin und Potsdam keine Fördergelder erhalten.“ Dazu müsste man das Antrags- und Bewilligungsverhalten untersuchen. (S. 23)
- „Allerdings haben mitteldeutsche Produktionsfirmen bei den bundesweiten und europäischen Filmförderungen einen sehr geringen Abteil an den insgesamt bewilligten Anträgen.“ (S. 57)
- Bei der Kinoförderung durch die FFA liegen die drei Bundesländer mit am Ende, auch bei der Zahl der Kinoprogrammpreise liegt man im Vergleich der Regionen auf dem letzten Platz. (S. 39)
- Für die Mehrheit der Teilnehmer einer Befragung ist das Beratungsangebot nicht ausreichend und vielseitig genug. Zudem stehen die Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten in der Kritik. Diese sind zu wenig auf die Branche zugeschnitten (S. 53)
Journalistenpreise
- Bundesweit gibt es 651 Journalistenpreise. Ca. 260 Preise sind auch für die Filmbranche relevant. In der Region Mitteldeutschland werden insgesamt neun dieser Preise vergeben, davon fünf allein in Leipzig. (S. 40 ff.)
Kreativstandort
- „Zum einen steht eine geringe Dichte für nicht gesättigte Märkte mit Möglichkeiten einer freieren Entfaltung und weniger Konkurrenz. Zum anderen bietet eine Vielzahl und Vielfalt an filmbezogenen Unternehmen auf einem definierten Rau aber auch vielschichtige Synergieeffekte, die gerade in der kreativen Branche gesucht und benötigt werden. … Deshalb stellt es sich für uns als diskussionswürdig dar, ob die Anzahl der hier angesiedelten Unternehmen für diese sogenannte kreative Dichte ausreichend ist.“ (S. 28)
- Kreative arbeiten dann am besten, „wenn an ihrem Standort en Milieu der Vielfalt unterschiedlicher Ethnien, Kulturen sowie Lebens- und Arbeitsformen existiert.“ Kreative suchen ihren „Wohnort nicht danach aus, wo sie einen Arbeitsplatz finden können, sondern sie wählen attraktive Städte.“ Doch in Mitteldeutschlands Städten sind andere Ethnien unterdurchschnittlich vertreten. (S. 35)
- „Die Ereignisse des ersten Halbjahres 2015 sind zudem für den Kreativ-Standort Mitteldeutschland nicht förderlich.“ Die Anschläge auf (geplante) Flüchtlingsunterkünfte „zeichnen in den ländlichen Gebieten ein Bild der Unerwünschtheit von Menschen fremder Ethnien und einer eingeschränkten Toleranz gegenüber anderen Lebenskonzepten, was einer Ansiedlung von Kreativen abschreckend entgegenwirken dürfte.“ (S. 35)
- Die Mieten in der Region sind preiswert. (S. 34)
Einschätzung der Politik
- Die Politik versteht die Filmbranche nicht ausreichend. Zudem engagiert sie sich nicht angemessen für die Branche. Auch das Standortmarketing steht in der Kritik. (S. 54)
- Trotz allem wird die Zukunft des Filmstandorts positiver gesehen. (S. 55)
Fazit
- Zusammengefasst kann man sagen: „Die Befragten zeigen eine große Affinität zu diesem Standort. Gleichwohl kritisieren sie besonders eine fehlende politische Unterstützung und Gestaltung des Standorts“. Fehlende Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten werden kritisiert. (S. 56)
- „In der Folge ist nun zu fragen, worin Studien- und Weiterbildungsangebote nicht dem bedarf einer sich entwickelnden Filmbranche entsprechen, oder ob bislang fehlende Vernetzungen verschiedener Wissensbereiche wie Wirtschaft, Recht, Bildung, Informatik und Kreative Bildungsbedürfnisse erfolgreicher und nachhaltiger decken können.“ (S. 58)
- „Auch ist zu fragen, welche kreativen, administrativen und technischen Berufe sich aus den aktuellen Erscheinungsweisen des Films wie interaktive Stories, Youtube-Angebote, Lets-Plays und Event-Kinos entwickeln.“ (S. 58)
- „De Frage einer für Kultur und Wirtschaft förderlichen kreativen Dichte erscheint uns weiterführend sehr interessant für die Entwicklung der drei Bundesländer. Denn nicht geklärt ist, warum der MDR doch vergleichsweise viele Aufträge an auswärtige Firmen gibt und auch die MDM einen vergleichsweise hohen Anteil nicht-ansässiger Firmen fördert. Liegt es an fehlenden vorhandenen kreativen Kapazitäten oder an fehlenden Firmenansiedlungen? Wie lassen sich Ausbildung und Ansiedlung von kreativen fördern, ohne sie recht schnell an das „Gravitationszentrum“ Berlin zu verlieren.“ (S. 58)
Hrsg. Steffi Schültzki: Filmstandort Mitteldeutschland. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Philosophische Fakultät II, Department für Medien und Kommunikation
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