Dokumentiert: Formaler und ästhetischer Reichtum der Gattung Hörspiel ist bedroht

„Die mittelmäßigen „Radio-Tatorte“, die in allen Landesrundfunkanstalten wiederholt werden müssen, wie auch das senderübergreifende „ARD-Radiofeature“ sind massive Anschläge auf den Rundfunkföderalismus, der die einzigartige Vielfalt der radiophonen Formen in Deutschland erst ermöglicht hat. Von der unter dem vorsätzlich irreführenden Titel „Radiofestival“ genannten abendlichen Gleichschaltung der Kulturwellen im Sommer gar nicht zu reden. Und der Intendant des Saarländischen Rundfunks, der Anstalt, in der das Neue Hörspiel – mit großem N – erfunden wurde, hat sich Anfang letzten Jahres in der Ankündigung der Zusammenarbeit mit dem Hörspiel des Deutschlandfunks gefreut, dass er dadurch „kostenintensive Investitionen in Technik [und, so wäre zu ergänzen, in Personal; JM] vermeiden“ könne. „8 Milliarden. Zwangsgebühr. Kleist.“

 

Nun zur Armut der Gattung. Das Hörspiel ist unfassbar billig. Lassen Sie sich von den „egomanen Strukturreformern und geistlosen Kostenoptimierern“ nicht in die Irre führen, die das Radio als „privilegierte Spielwiese“ betrachten, weil sie eigentlich lieber im Fernsehen „bella figura“ machen würden, wie Alexander Kissler in der Zeitschrift „Cicero“ polemisiert hat. Und das ist nun wirklich kein Blatt, dem man eine besondere Sympathie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unterstellen möchte.

 

Als NDR-Intendant Lutz Marmor vor einiger Zeit die Minutenpreise für den Fernseh-„Tatort“ veröffentlichte, rieb man sich als Radiohörer nur erstaunt die Augen. Eine Minute „Tatort“ kostet so viel wie eine Stunde Hörspiel und ein Hörspielstunde sind sowieso nur 54:30. Konservativ gerechnet haben wir es also mit dem Faktor 50 zu tun oder anders gesagt: Eine Hörspielminute kostet zwei Prozent einer „Tatort“-Minute. Eher weniger. Bei einer Jahresproduktion von etwa 600 Hörspielen inklusive Krimi und Kinderhörspiel können Sie sich nun leicht ausrechnen, wie viele „Tatorte“ man vom Produktionsbudget des gesamten deutschen Hörspiels drehen könnte. Es sind 6,6666. Näheres dazu können sie morgen Abend [4.2.15, 21.00 Uhr; d.Red.] in meiner „Kleinen Mediengeschichte des Hörspiels in zehn Missverständnissen“ auf HR 2 Kultur hören.

 

Nun, warum interessiert Sie als Medien- und Feuilletonredakteure das alles nicht? Ich habe eine starke Vermutung, wer daran schuld ist. Und Sie ahnen es: Das sind Sie selbst. Denn im Gegensatz zu Theater oder Film ist das Hörspiel aus dem kollektiven kulturellen Gedächtnis fast völlig verschwunden. Manche Tageszeitungen schmücken sich sehr zu recht mit ihren DVD-Reihen, in denen Schätze der Filmgeschichte verfügbar gemacht werden. Auf die Idee. einen Kanon der, sagen wir mal: 100 bemerkenswertesten Hörspiele aus 90 Jahren Geschichte der Gattung herauszugeben, ist noch niemand gekommen.

 

Aber auch im ganz normalen Tagesgeschäft gestalten Sie das kulturelle Gedächtnis dieser Gesellschaft mit. Der geringe Raum, den das Hörspiel in eben jenem kulturellen Gedächtnis einnimmt, liegt also auch daran, dass Sie ihm den kritischen Resonanzraum verweigern. Jenen Resonanzraum, den jede Kunst braucht, um sich weiterzuentwickeln. Alexander Kissler hat in seiner Polemik „eine Lobby für das Radio“ gefordert. Zu einer eigenen ständigen Radiokolumne in „Cicero“ hat es aber nicht gereicht.“

 

Jochen Meißner in seiner Dankesrede zur Ehrung mit dem Bert-Donepp-Preis

 

Medienkorrespondenz 4/2015

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)