„In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört“

„Die öffentliche Sache bedarf keiner Verkündigung, sondern der Volksaussprache. Diese wiederum braucht die Medien. …. Das Leitmedium für Klartext in der DDR war die Mündlichkeit. All dieses Öffentliche existierte fragmentiert, als Szene und Milieu. Daß es sich nie zur Öffentlichkeit vernetzte, darüber wachte der Staat. Als er die konzertierte Volksaussprache nicht mehr verhindern konnte, kam sein Ende. ….

Unter jenen, die im Lande bleiben wollten, kursierte der Aufruf einer Bürgerbewegung, die sich Neues Forum nannte. Der Text begann mit dem Satz: „In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat nd Gesellschaft offensichtlich gestört.“ Der Schlußsatz lautete: „Die Zeit ist reif.“ …30

Sie (die Treuhand) verkaufte auch sämtliche SED-Bezirkszeitungen an westliche Medienhäuser, die alsbald eigene Leitungskader installierten. Noch heute lässt sich die DDR-Bezirkseinteilung an den Vertriebsgebieten dieser Blätter erkennen. Bis auf die Berliner Zeitung überschritt keines den Limes der Provinz. Sie blieben Medien der Nahwelt. Nationale Medien sind westdeutsche Medien. Nationale Debatten, von ihnen entfacht, sind westdeutsche Debatten, manchmal mit einer Ost-Stimme garniert.

Deutsche Öffentlichkeit ist westdeutsche Öffentlichkeit. Der deutsche Begriff von Normalität bezeichnet das westdeutsche Normale. Die aufgerufenen Geschichtserfahrungen sind die der Bundesrepublik. …

Mir ist, als falle meine Heimat zurück in ihre vordemokratische Mündlichkeit. ….

In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.

Weniger als drei Prozent der Ostdeutsche lesen überregionale Blätter. Und nur 2,2 Prozent der Bücher, so schrieb Christoph Links in seinem Buch über die DDR-Verlage, würden noch in ostdeutschen Bundesländern ediert (abzüglich Berlin). Freilich, die Parallelität von Presse und Buch hat ihre Grenzen. Zeitungen veröffentlichen jeweils einen Tag, sie erzeugen aktuelle Simultanität. Bücher wirken verzögert, nachhaltig, individuell. Zeitungen eilen, Bücher sinnen.“

 

Christoph Dieckmann: Der Wirklichkeitsverlag, Laudatio zur Verleihung des Kurt-Wolff-Preises an den Ch. Links Verlag, in: Sinn und Form, Mai/Juni 2016, S. 421 ff.

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)