Johannes Beermanns „medienpolitischer Rundumschlag“

Johannes Beermann hat sich von flurfunk-dresden.de interviewen lassen. Peter Stawowy ordnet das Interview als lesenswerten “Rundumschlag zur sächsischen Medienpolitik“ ein. Das ist es geworden. Offenbart es doch die Denkweise von Johannes Beermann. Und, wenn man sich etwas in der sächsischen Medienlandschaft und -politik auskennt, weiß man auch, wie seine Worte zu seinen Taten passen.

Hier eine beispielhafte Einordnung:

Wie kann die Staatsregierung die Vielzahl der Anbieter im Lokalfernsehen erhalten?

„Wir können die Rahmenbedingungen beeinflussen. Wir können und dürfen aber die wichtige Aufgabe von Rundfunk und Fernsehen als Staat nicht übernehmen. Nämlich, dass jemand eine interessante Geschichte erzählt, etwas Spannendes zu berichten weiß.

Wir können aber versuchen, die Rundfunk- und Fernsehlandschaft wie sie in Sachsen besteht – und die meiner Ansicht nach tatsächlich zwingend zur Identität Sachsens dazugehört – so vielfältig wie möglich zu halten. … Es ist nicht meine Aufgabe noch die des Staates, zu bestimmen, ob etwas finanziell tragfähig ist. Ich bin auch nicht für die Produkte der Sender verantwortlich. Meine Aufgabe ist nur, zu schauen, dass ein vielfältiges Angebot auch möglich ist.

Wir wünschen uns, möglichst alle dieser lokalen Radio- und Fernsehsender zu erhalten. Da muss man an verschiedenen Schrauben drehen: An der Digitalisierung oder an der Frage, wie das Geschäftsmodell aussieht. Natürlich knirscht es da auch manchmal. Man muss immer schauen, was verträglich ist und die Beteiligten müssen miteinander reden. Das hat die letzten 22 Jahre ganz gut geklappt.“

 

Die Entwicklung in Sachsen zeigt, dass die Unabhängigkeit der Lokalfernsehanbieter abnimmt, dass es zu einer Konzentration kommt. Welche Aufgaben hat denn heute das Lokalfernsehen?

Wer muss denn wie und mit welchen Mitteln an welchen Schrauben drehen? Gibt es gesetzgeberischen Handlungsbedarf? Müssen die Sender gar gefördert werden? So stellt zum Beispiel der Freistaat Bayern aus seinen Haushaltsmitteln heraus Fördermittel für das Lokalfernsehen zur Verfügung. (Das neue Finanzierungskonzept zur Sicherung des lokalen und regionalen Fernsehens in Bayern sieht vor, die staatliche Förderung 2013 auf acht Millionen Euro zu erhöhen und von 2014 bis 2016 auf jeweils zehn Millionen Euro pro Jahr anzuheben. Die Fördermittel werden dazu verwandt, die Verbreitung der Lokal-TV-Programme über den digitalen Satelliten und neue Übertragungswege wie Hybrid-TV zu verbessern.)

 

Die Zeitungen sind im Niedergang. Das Lokalfernsehen hat eine überschaubare Reichweite. Radio kommt auch nicht mehr richtig bei den jungen Hörern an. Gibt es medienpolitischen Handlungsbedarf? Soll der Markt es regulieren?

„Dass die sächsische Staatsregierung für die Konzepte der einzelnen Zeitungsverlage oder Verlagsgruppen nichts kann, ist ganz offensichtlich. Das heißt, die müssen ihre eigenen Konzepte machen. Der eine hat den Onlinebereich noch nicht begriffen, der andere ist noch in der Restrukturierung und versucht Kosten zu sparen, indem er Redaktionen zusammenstreicht.

Das ist alles nicht unser Ding. Wir müssen mit der Medienlandschaft umgehen, die wir vorfinden und dafür sorgen, dass diese Medienlandschaft die Möglichkeit hat, sich kreativ aber auch gewinnbringend zu entfalten.“

 

Es ist Aufgabe der Politik, die Medienlandschaft zu gestalten. Denn Medien haben „keine Freiheit an sich“. Sie haben eine „dienende“ Freiheit, wie es das Bundesverfassungsgericht immer wieder formulierte. Medien sollen der Demokratie „dienen“, indem sie die „öffentliche Meinungs- und Willensbildung“ fördern.

 

Braucht man noch die Landesmedienanstalten?

„Die Landesmedienanstalt ist Ausdruck der Eigenstaatlichkeit Sachsens. Das ist die Kompetenz, die wir noch uneingeschränkt haben. Die Kompetenz im Medienbereich. Daran wollen wir auch nichts ändern. Die SLM wird es noch lange geben und sie wird auch Aufgaben zu erfüllen haben. Wie die sich entwickeln, wird sich zeigen. In einer Zeit, in der es sehr viel mehr private Medien gibt als öffentliche – und für die ist ja die SLM gedacht – geht es strukturell strategisch nach vorne.

Es gibt natürlich Veränderungen. Man denkt jetzt nicht mehr darüber nach, wer welche Wellen zugeteilt bekommt, sondern wie Kommunikation in all ihren Facetten und medialen Möglichkeiten funktioniert.“

 

Ja, wie funktioniert denn heute die Kommunikation? Wer diese Frage beantworten will, kann all die neuen medialen Möglichkeiten beschreiben. Festzustellen ist jedoch, dass sich das Mediennutzungsverhalten für die große Mehrheit kaum verändert. Zeitung, Radio und Fernsehen werden weiter genutzt. Viele Menschen interessiert, was lokal bzw. regional passiert. Doch in diesen „Kommunikationsräumen“ gibt es zumeist nur einen Anbieter. Da gibt es keine Vielfalt, keine Konkurrenz. Wäre es nicht die Aufgabe der Staatsregierung, diese Vielfalt zu befördern? So verweist u.a. das Europaparlament immer wieder darauf, dass es Aufgabe der Politik ist, u.a. Bürgermedien zu fördern.

Sicher, die Landesmedienanstalten, also auch die SLM, wird es noch so lange geben, wie die Medienpolitik dies will. Solange die Ministerpräsidenten sich einig sind, gibt es keine Veränderungen. Ja, sogar solange, wie ein Ministerpräsident dagegen ist, gibt es keine Veränderungen. Schließlich kann der Rundfunkstaatsvertrag der Länder nur einstimmig geändert werden.

Landesmedienanstalten wurden vor mehr als 20 Jahren geschaffen, um Programme zu lizensieren und zu kontrollieren, ob die Lizenzauflagen eingehalten werden. Diesen Aufgaben sind sie früher selten konsequent nachgegangen. Und – diese Aufgaben haben sich durch die Digitalisierung noch nicht erübrigt. Schließlich sind die UKW-Frequenzen immer noch knapp.

Die Medienpolitik hat den Landesmedienanstalten seitdem viele neue Aufgaben übertragen: kulturelle Filmförderung, Förderung von Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen, Förderung medienpädagogischer Projekte sowie Vergabe wissenschaftlicher Gutachten, um nur einige zu nennen (§ 28 Sächsisches Privatrundfunkgesetz). Die Sächsische Landesmedienanstalt lobt Preise aus und vergibt diese.

Letztlich dienen die Landesmedienanstalten im weitesten Sinne der Politik. Um Politiker „unterzubringen“, um Parteigänger mit Aufträgen zu „versorgen“, um mehr oder weniger verdeckt Netzwerke zu „spinnen“.

Klar ist, dass die Landesmedienanstalten für Suchmaschinen, soziale Netzwerke und Blogs nicht zuständig sind. Offensichtlich ist, dass die Landesmedienanstalten ihren ureigenen, mit der Gründung verbundenen Aufgaben kaum nachkommt. Die Rechtsaufsicht über die Landesmedienanstalten haben die jeweiligen Regierungen.

 

Stichwort Medienstandort Sachsen: Was tut der Freistaat für die Medien? Gibt es Ansätze in Sachsen, um den Medienstandort zu stärken?

„Ja. Das ist ein Megathema. Zum einen haben wir eine Filmförderung, die Mitteldeutsche Medienförderung, in die wir Jahr für Jahr eine beträchtliche Summe Geld stecken. Wir werden auch als Filmland zunehmend entdeckt, seien es Hollywoodproduktionen oder auch erfolgreiche Serien. „Lasko“ zum Beispiel, das ist eine Serie, die bei RTL gelaufen ist. Aber eben auch „Inglourious Basterds“, der die schöne Landschaft nutzt.

Wir haben insgesamt sehr gute Chancen, als Kino und Fernsehland, wahrgenommen zu werden. Das wollen wir weiter nach vorne bringen. Wir haben neben der Mitteldeutschen Medienförderung auch unsere ganz normalen Förderinstrumente, zum Beispiel für die Förderung von Unternehmensinvestitionen. Gerade dieser Dienstleistungsbereich ist ja ein Sektor, der auch Arbeitsplätze schafft. Wenn hier wöchentliche oder tägliche Serien produziert werden, dann fließt auch entsprechend Geld in die Region. Das sind oftmals mittelständische Betriebe und ich denke, um die sollten wir uns auch weiterhin bemühen. …

Es gibt es noch genügend Ansatzpunkte, wo Sachsen filmpolitisch und medienpolitisch Akzente setzen kann. Was wir auch tun.“

 

In die Mitteldeutsche Filmförderung zahlen drei Länder ein. Sie hat einen Etat von ca. 14 Mio. Euro im Jahr. Das Medienboard Berlin-Brandenburg verfügt über ca. 30 Mio. Euro, die Filmstiftung NRW über 36 Mio. Euro. Dies zeigt schon, welche Prioritäten die einzelnen Länder setzen. Zudem gibt es in Nordrhein-Westfalen, wie auch in Berlin und Brandenburg gezielte Förderprogramme für die Branche. So hat NRW nicht nur einen Förderkompass Medien, sondern auch mehrere Millionen Euro für ein Förderprogramm Mediencluster bereitgestellt. Die Mediencluster NRW GmbH wurde in die Filmstiftung integriert. Diese soll nun Produzenten im Film-, Fernseh- und Gamesbereich fördern. In Baden-Württemberg hat die Staatsregierung eine Filmkonzeption entwickeln lassen.

In Sachsen gibt es weder eine von der Regierung beschlossene Strategie, noch funktionierende, spezifische Förderprogramme für die Branche.

Sachsens Medienwirtschaft wächst nicht signifikant.

Welche Serien, zumal tägliche, werden denn hier produziert? Wie viele unabhängige mittelständische Filmproduzenten gibt es denn in Sachsen? Wie viele Unternehmen haben sich in den letzten Jahren neu gegründet? Und – wie viele haben sich wieder verabschiedet? Hat nicht erst letztes Jahr eine der erfolgreichen Gründungen der Nachwendezeit, LE Vision, Insolvenz anmelden müssen? Der Grund? Die Sender, vor allem die öffentlich-rechtlichen, bezahlten trotz steigender Anforderungen immer weniger. Für neue Projekte musste L.E. Vision immer mehr investieren.

Ja, es „gibt ausreichend Gründe, filmpolitisch und medienpolitisch Akzente zu setzen“. Allerdings ist die sächsische Staatsregierung nur verbal aktiv. Sie setzt keine Akzente, sie hat keine Konzeption. Sie verfolgt keine Strategie.

 

Wie ist die Situation der mitteldeutschen Filmproduzenten?

„Wir sind im engen Dialog mit den mitteldeutschen Filmproduzenten. Wir setzen uns jetzt zum Beispiel beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland aktiv dafür ein, dass das zum Thema gemacht wird. Ich werde dort auch selbst auf dem Podium sitzen. Über Mitteldeutsche Filmproduktionen werden wir reden. Das muss immer wieder ins Bewusstsein gebracht werden.

Auch wenn sie schauen, was wir in Dresden als Erbe der DDR vorfinden, dann ist das mehr als nur das Sandmännchen. Da gibt es ganz hervorragende Trickfilme und die dazugehörigen sehr engagierten Trickfilmunternehmungen. Abgesehen davon, dass man immer mehr machen kann, sehe ich eine Landschaft, die im Grunde gesund ist und die wir weiter fördern werden. Ich finde, es schadet dem Filmland Sachsen auch nicht, mal einen Hollywoodstreifen entsprechend zu fördern, um darauf aufmerksam zu machen, dass Sachsen tolle Kulissen bietet, die dann auch wiedererkannt werden auf der ganzen Welt. Eine bessere Standortwerbung gibt es kaum.“

 

Viele Animationsfilmfirmen gibt es in Sachsen nicht, große schon gar nicht. Es blieb nur wenig vom Dresdner Kern. Es reicht eben nicht, nur Reden zu halten, auf Podien zu sitzen. Ja, klappern gehört zum Handwerk. Aber klappern allein reicht nicht.

Es ist absurd anzunehmen, dass tolle Kulissen per se eine gute Standortwerbung sind. Deswegen kommen nicht Unmengen an Touristen nach Sachsen. Dafür gibt es einfach zu viele Filme, die jährlich ins Kino kommen und von denen die Mehrzahl zudem kaum wahrgenommen wird.

Medienpolitik muss dafür sorgen, dass auch die hiesigen Firmen wachsen, dass sie größer werdende Aufträge realisieren können, dass sie also im internationalen Wettbewerb mithalten können. Wenn der Geschäftsführer des Kinderkanals sagt, dass er Animationsserien auch deshalb ins Ausland vergibt, weil hiesige Animationsfirmen zu klein sind, dann haben mindestens zwei Seiten versagt: er als Geschäftsführer hat mit seiner Vergabepolitik verhindert, dass die hiesigen Firmen wachsen. Die Medienpolitik hat das Wachstum der Firmen nicht unterstützt. In Frankreich sorgt man dafür, dass die Gebührenmittel vor allem im Land ausgegeben werden, dass die einheimische Landschaft gefördert wird.

Kann die Staatsregierung nichts tun? Sind ihr gegenüber den Sendern die Hände gebunden? Johannes Beermann ist auch Mitglied des ZDF-Fernsehrates. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist stellvertretender Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates. Sachsens Regierung hat auch einen Vertreter im MDR-Rundfunkrat.

 

Gibt es einen konkreten Zeitplan für einen Staatsvertrag, mit dem die Zahl der Digitalkanäle von ARD und ZDF reduziert werden soll?

„Natürlich gibt es einen konkreten Zeitplan. Um das mal einzuordnen: Wir haben mit dem Beschluss der Umstellung von einer Geräteabgabe auf eine Haushaltsabgabe gesagt, wir schauen uns den öffentlich rechtlichen Bereich insgesamt an. Nach 60 Jahren ist es längst an der Zeit zu überprüfen, wie der Programmauftrag von den öffentlich rechtlichen Anstalten erfüllt wird.

Daraus ist eine Arbeitsgruppe entstanden, die AG Beitragsstabilität, die von Sachsen geleitet wird. Die haben sich schon vor vielen Wochen mal die Digitalkanäle angeschaut und gesagt: Das sind eigentlich super Kanäle, die wirklich hochwertiges Fernsehen machen, leider aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zwischen 0,05 Prozent und 0,2 Prozent Sehbeteiligung wurden ermittelt. Und das für einen annähernd dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr. Die Digitalkanäle sind zu einem Zeitpunkt entstanden, wo man über sogenannte Programmbuketts nachdachte, das war in den 90er Jahren. Wo man mittels einer Blackbox – ich erinnere mich noch genau, verbunden mit dem Namen Leo Kirch und der Telekom – über 150 / 200 Programme rein bekommen sollte, die dann zu Buketts zusammengefasst werden sollten.

Jede Senderfamilie hat also einen Nachrichtenkanal, einen Sportkanal, einen Hauptkanal, einen Spielfilmkanal, einen Serienkanal und so weiter. Der Zuschauer wird sich das raussuchen, was er braucht. Das war die Grundidee der entsprechenden Digitalkanäle. Verbunden mit Digital, weil die Digitalität gebraucht wurde, um diese Vielzahl auch tatsächlich an den Mann zu bringen. Das hat sich mittlerweile überholt.

Wir sind in einem Zeitalter, das im Wesentlichen vom Internet geprägt ist. Die Adaption ist auch eine völlig andere. Die Frage, ob ein offensichtlich überholtes Konzept heute tatsächlich an die 100 Millionen Euro pro Jahr wert ist, muss gestellt werden. Man muss gegebenenfalls auch irgendwann ganz nüchtern und neutral sagen können: Es hat sich anders entwickelt, wir müssen reagieren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich halte ZDF Neo für ein wundervolles Format. ZDF Kultur ist ein Traumsender, da könnte ich persönlich den ganzen Tag davor sitzen. Nur: ich weiß nicht, ob es gerechtfertigt ist, nur für Johannes Beermann ein Mehrmillionen-Programm im Jahr vorzuhalten.“

 

Johannes Beermann hat Recht, dass es an der Zeit ist, zu überprüfen, ob ARD und ZDF ihrem Auftrag gerecht werden. Dabei kann man auch die Fragen nach den Kosten und dem Nutzen stellen. Allerdings erhielten ARD und ZDF im letzten Jahr über 7,1 Mrd. Euro aus Gebührengeldern. Für Sport wendeten sie 2010 über 700 Mio. Euro auf, für Unterhaltung über 500 Mio. Euro. Muss man da zuallererst über 100 Mio. Euro für sechs digitale Kanäle diskutieren? Ist dies nicht eine Scheindebatte?

Die Zeit der Senderfamilien ist nicht vorbei. Das zeigt RTL. Da baut man die Programmfamilie mit RTL Nitro aus. Es ist nicht bekannt, dass andere Senderfamilien einzelne Kanäle einstellen und mit diesen ins Internet abwandern. Dafür gibt es keinen auch Grund. Schließlich ist es technisch nicht möglich, dass in Deutschland über 700.000 Leute gleichzeitig Videos über das Internet sehen.

 

Ist nicht gerade ZDF neo ein wunderbarer Ansatz fürs ZDF, sich verjüngen zu können?

„Auch für die Jugend ist ein dreistelliger Millionenbetrag zu viel. Beim besten Willen. Die Bürger und Bürgerinnen bezahlen doch dafür – 17,98 Euro im Monat.“

 

Auch junge Menschen zahlen die Rundfunkgebühr. Sicher zusammen sogar mehr als 200 oder 300 Mio. Euro. (1 Millionen Gebührenzahler zahlen im Jahr 215,76 Mio. Euro.) Und wieso ist ein dreistelliger Millionenbetrag für die Jugend zu viel, wenn ARD und ZDF ein höherer Milliardenbetrag zu Verfügung steht? Zugespitzt: Warum sollen ARD und ZDF nicht mit 5% der Gebührengelder ein ordentliches öffentlich-rechtliches Jugendprogramm machen?

Wieso gibt es einen Kinderkanal im Fernsehen, aber keinen Jugendkanal? Wieso gibt es Jugendradioprogramme, aber kein Jugendfernsehprogramm? Haben hier die Medienminister der MDR-Länder nicht ungenutzt die Chance versreichen zu lassen, neben dem Kinderkanal auch einen Jugendkanal (und auch ein Kinderradio) hier anzusiedeln?

Schließlich hatte sich der frühere MDR-Intendant Udo Reiter immer wieder für beides ausgesprochen.

„Dass Derjenige, der Fernsehen macht, das natürlich für verheerend hält und der Meinung ist, das dürfe alles nicht sein und man müsse noch viel mehr machen, ist auch verständlich. Jeder, der ein Kind hat und einmal vorm Eiswagen gestanden hat, weiß, was da passiert.“

 

Nachgehakt zur vorletzten Frage: Gibt es wirklich einen konkreten Fahrplan?

„Die AG Beitragsstabilität tagt regelmäßig und legt dann ihre Berichte vor. Wir werden im Jahr 2013 auf der Ministerpräsidentenkonferenz einen Vorschlag vorstellen, wie das Fernsehen der Zukunft aussehen kann.“

 

Werden sich die Medienminister auf eine Vision einigen können? Wird es sich dann um das „Fernsehen 2020“ handeln oder um das Fernsehen „2030“? Wer hätte wohl im Jahre 2000 die heutige Medienlandschaft mit Google, Twitter, Facebook und all den anderen vorausgesehen?

Mal sehen, wie dieser Vorschlag aussieht. Mal sehen, ob es überhaupt einen solchen Vorschlag geben wird.

Aufgabe der Medienpolitik ist es doch, den Medien einen (gesetzlichen) Rahmen zu geben, in dem diese am besten der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung, also der Demokratie dienen können. Der aktuelle Rundfunkstaatsvertrag ist 21 Jahre alt. Seitdem hat sich vieles geändert: im Angebot, in der Produktion, Übertragung wie auch Nutzung von Medien. Rundfunkstaatsverträge können nur geändert werden, wenn erst alle Ministerpräsidenten und dann alle Parlamente zustimmen. Eine Stimme kann also alles verhindern. Es ist an der Zeit für einen neuen Wurf, so wie damals, nach der deutschen Einheit. Johannes Beermann muss keinen Vorschlag machen, wie das Fernsehen der Zukunft aussehen soll. Er hat politische Vorschläge zu machen, welcher gesetzliche Rahmen dem Fernsehen auf seinem Weg in die Zukunft gegeben werden soll.

 

Jetzt scheinen sich die Öffentlich-Rechtlichen mit den Verlagen über einen Umgang beispielsweise mit der Tagesschau-App zu verständigen. Das wird im Netz oft so wahrgenommen, als ob die Sender sich freiwillig beschneiden. Man könnte die Sorge haben, die Öffentlich-Rechtlichen werden ordentlich zurechtgestutzt damit. Teilen sie diese Einschätzung?

„Es heißt ja Fernsehen und nicht Fernlesen. Insofern macht das durchaus Sinn. Wir haben zwei unterschiedliche Systeme. Wir haben einmal den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, also das öffentlich-rechtliche Fernsehen, was durchgängig mit 7,5 Milliarden im Jahr durch öffentliche Mittel subventioniert wird. Keiner muss sich da um seinen Arbeitsplatz sorgen, alles ist sicher. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist der, dass wir auf der anderen Seite Private haben, die Geschäftsmodelle entwickeln müssen, damit sie mit ihrem Programm auch Geld verdienen. Wir müssen darauf achten, dass es keine Markverzerrung gibt und wir zum Schluss nur noch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten haben.

Das bedeutet, ich muss den Privaten Produkte, die Gewinn bringen, auch ermöglichen. Das bedeutet eben auch, der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt auf Sehen und Hören konzentriert und nicht aufs Lesen.

Dass ich mittlerweile im Internet Formate habe, wo man alles machen kann, es natürlich Sinn macht, im Internet auch entsprechend Filme und Videos einzustellen, ist eine ganz andere Frage.

Da eine Zeitung aber eben privat ihr Geld verdient, muss sie mehr Möglichkeiten haben, also auch ein Video einzustellen. Ich halte es für eine gute Lösung, dass die Öffentlich-Rechtlichen im Wesentlichen auf Wort und Bild zurückgreifen und nicht auf Text.“

 

Es gibt Nutzer, die das Fernsehen auch lesend wahrnehmen. Haben nicht die Ministerpräsidenten im 15. Rundfunkstaatsvertrag gefordert, dass ARD und ZDF wesentlich mehr Sendungen untertiteln sollen? Wie sollen gehörlose Menschen die Angebote von ARD und ZDF wahrnehmen, wenn nicht vor allem lesend?

Das, was ARD und ZDF im Internet machen, wurde ihnen in Dreistufentests durch die Gremien wie auch die Staatskanzleien genehmigt. Die gesetzliche Grundlage bilden die Staatsverträge.

Die öffentlich-rechtlichen Sender sowie die Verleger sind Konkurrenten. Sie konkurrieren um die Aufmerksamkeit des Publikums. Sie wollen genutzt werden. Aufgabe von ARD und ZDF ist es nicht, den Verlegern neue Geschäftsmodelle, also auch Gewinne, Rendite, zu sichern. Dann müsste man auch den Forderungen der privaten Sender nachkommen und Einschränkungen im öffentlich-rechtlichen Programm umsetzen.

Zudem: es handelt sich im Internet nicht allein um Fernsehen, Radio oder Zeitung. Es ist eine neue Form von Journalismus entstanden. Der Onlinejournalismus. Dieser braucht Video, Audio und Text. Vor allem muss er, um die Möglichkeiten des Mediums auch zu nutzen, seine Inhalte (vertiefend) miteinander vernetzen.

Auftrag von ARD und ZDF ist es unabhängig von Staat, Politik und Kommerz Programm zu machen. Meinungs- und Willensbildung findet auch in den Bereichen Unterhaltung und Sport statt, sie wird zunehmend über das Internet befördert.

Die Medienpolitik muss nun die Frage beantworten, ob es auch im Internet Angebote geben soll, die mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichbar sind. Es geht also nicht um mehr oder weniger Text oder Video in den Internetangeboten, sondern um die Frage, ob es im Internet gebührenfinanzierten staats- und kommerzunabhängigen Journalismus geben soll. Es ist nicht Aufgabe der Medienpolitik, abhängig von der Umsatz-, Gewinn- bzw. Renditesituation der privaten Anbieter zu entscheiden, welche seiner Angebot der öffentlich-rechtliche Rundfunk wie einzuschränken hat.

 

Ist es ein staatlicher Angriff auf die Rundfunkfreiheit, wenn die Politik über die Gebühren versucht, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Grenzen zu setzen?

„Wir setzen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine Grenzen über die Gebühren. Das machen wir eben gerade nicht. Das ist ja der Punkt. Das dürfen wir auch nicht. Das hat das Verfassungsgericht verboten. Das Verfassungsgericht sagt: Wenn ihr beim öffentlich rechtlichen Rundfunk bestellt, was die Leute sehen und hören wollen, müsst ihr wie in jeder Kneipe auch die Rechnung abwarten.

Wir wissen noch nicht, was es konkret kostet. Wir dürfen also dem öffentlich rechtlichen Rundfunk nicht sagen: Hier pass auf, du servierst uns Champagner, aber du bekommst anschließend nur zwei Euro. Das geht einfach nicht. Trotzdem bleibt es uns überlassen, ob wir Bier oder Champagner bestellen. Aber wir wissen, Bier ist günstiger als Champagner. Das ist die Aufgabe, die Politik hat.

Wir definieren den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und das muss auch so sein, das ist die Ausübung öffentlicher Gewalt. Und öffentliche Gewalt geht nach der sächsischen Verfassung wie nach dem Grundgesetz vom Volk aus. Diejenigen, die meinen, die Öffentlich-Rechtlichen existieren so nebenher, sind aus sich heraus geboren, wenn nicht gar Gott gewollt, die irren. Das ist nicht der Fall. Der Auftrag muss vom Volk legitimiert sein und das Volk bezahlt auch dafür.“

 

In Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes werden die Grundrechte festgeschrieben. Die Freiheit des Rundfunks, genauer „die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk“ ist in Artikel 5 Grundgesetz festgehalten. Der Rundfunk ist damit ein Grundrechtsträger. Die Grundrechte des Grundgesetzes sind im Wesentlichen als Abwehrrechte des Grundrechtsträgers gegenüber Handlungen von Hoheitsträgern ausgestaltet. Sie geben dem Grundrechtsträger einen Anspruch gegen den Staat auf Beseitigung einer Beeinträchtigung des durch das betreffende Grundrecht geschützte Rechtsgut: die Freiheit der Berichterstattung.

Wie diese Freiheit auszugestalten ist, dazu gibt es so einige Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört somit zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Der Auftrag dieses Rundfunks war zu seiner Gründung nicht vom Volk legitimiert. Zum Grundgesetz gab es nie eine Volksabstimmung. Die ersten öffentlich-rechtlichen Sender gab es nach 1945 noch vor der Verabschiedung des Grundgesetzes. Auch die Rundfunkstaatsverträge wurden nie dem Volk zur Zustimmung vorgelegt.

Genauso wenig, wie der Rundfunk dem Staat und den Parteien zu dienen hat, hat er dem Volk zu dienen. Er kann es auch gar nicht. Denn „das Volk“ mit einheitlichem Interesse gibt es nicht. Der Rundfunk kann dem Land und auch dem Volk nur indirekt dienen: indem er die Demokratie lebendigt hält, sie fördert.

 

Warum findet Medienpolitik zu wenig in den Medien statt?

„Weil sie selbst betroffen sind. Ich werde bedauerlicherweise im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nie zu einer Talkshow eingeladen.“

 

Finden sie es bedauerlich, dass das nicht passiert?

„Das ist wie mit dem Wetter, das muss man nehmen wie es kommt. Dass man, wenn man selbst betroffen ist, eine andere Attitüde dazu hat, ist eine ganz andere Frage. Ich finde das spannend, wie mit der eigenen Medienpolitik umgegangen wird, wenn ansonsten vehement Transparenz gefordert wird. Aber das ist, glaube ich, nicht so dramatisch. Es ist kein Phänomen, das es nur in Deutschland gibt. So schlecht ist es mit der Medienpolitik ja auch nicht bestellt. Die Diskussionen werden in der Öffentlichkeit geführt. Sie hätte aber durchaus manchmal etwas mehr Aufmerksamkeit verdient, was ich mir als zuständiger Minister wünschen würde.“

 

Medienpolitische Diskussionen werden auch in die Öffentlichkeit getragen. Die wesentlichen Diskussionen wie auch Entscheidungen werden jedoch in geschlossenen Veranstaltungen geführt bzw. getroffen. Nicht einmal die Landesparlamente werden da einbezogen.

 

In anderen Zusammenhang (Beitrag des Innenministers auf der Dialog-Plattform) sagt er:

„Ja, wir würden das noch mal so machen, denn wir machen das, wofür wir als Staatsregierung stehen und wovon wir überzeugt sind. Dass das nicht jedem gefällt, ist uns völlig klar. Wir wissen aber, dass die weitüberwiegende Mehrheit diese Staatsregierung gewählt hat, und dass wir mit dem, was wir tun, den richtigen Kurs fahren.“

 

Bei der Landtagswahl 2009 erhielt die CDU 40,2% der Stimmen, die FDP lag bei 10,0%. Zusammen hatte man also 50,2% der Wählerstimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 52,2%. Weder bei den Wählerinnen und Wählern, noch bei den Wahlberechtigten hatte die CDU-FDP-Regierung eine „weitüberwiegende Mehrheit“.

Soweit zu den Fakten.

 

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