Der flurfunk hatte mich gebeten, eine Bilanz der einjährigen Intendanz von MDR-Intendantin Karola Wille zu ziehen. Diese kann man dort lesen. Anbei meine etwas umfangreichere Beschreibung, wie sich der MDR verändert und wodurch er begrenzt wird, die mir als Grundlage für den flurfunk-Gastbeitrag diente. Vorab noch ein Hinweis in eigener Sache: ich bin Mitglied des MDR-Rundfunkrates.
„Konzept zur Zukunft des Mitteldeutschen Rundfunks“ war die Vorlage überschrieben, die den Rundfunkräten des MDR wenige Tage vor dem 23. Oktober zugestellt wurde. An diesem Tag, einem Sonntag, wählte dann der MDR-Rundfunkrat Karola Wille zur Intendantin, nachdem die 7 Verwaltungsräte sie einstimmig nominiert hatten. 32 Rundfunkräte stimmten für sie, 7 lehnten sie ab. Vorausgegangen war dem jedoch ein monatelanges Ringen um Personen und Verfahren, das unter anderem vom flurfunk dokumentiert wurde. Erinnert sei nur daran, dass Karola Wille im allerersten Wahlgang des Verwaltungsrates erste Wahl war und die absolute Mehrheit dieses Gremiums hinter sich hatte. Allerdings fehlte ihr eine Stimme für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Und so wurde so lange gewählt – insgesamt viermal – bis der damalige Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, Bernhard Hilder, die notwendigen 5 Stimmen auf sich vereinen konnte. Dieses Verfahren war ein Grund, dass er dann im Rundfunkrat am 26. September klar scheiterte.
„Beim Leipziger MDR herrscht Aufbruchstimmung. … Wo sich angesichts des von der Politik vorgegebenen Kandidaten schon Resignation breit gemacht hatte, weil offenbar alles so weitergehen würde wie bisher, ist nun ein regelrechter Ruck durch den Sender gegangen“, kommentierte nach Karola Willes Wahl Tilmann Gangloff in der Stuttgarter Zeitung.
Was ist von dieser Aufbruchstimmung geblieben? Wo steht der MDR heute, ein Jahr danach?
Nun, es gab und gibt viele Ansprüche an die Intendantin. Es gab und gibt viele Wünsche, was sich beim MDR ändern muss. Man kann Karola Wille an vielem messen: der Vision des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer digitalisierten Gesellschaft, der Zahl innovativer Formate und Ideen, dem Beitrag zur Vielfalt und Vielzahl der Produktionslandschaft im MDR-Gebiet, der Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und und und …
Doch zuerst einmal gelten ihre Worte. Sie hatte zwei Dinge vorgelegt: ihre „Vision MDR 2017“ (teilweise zum Nachzuhören hier http://www.mdr.de/tv/programm/video21938.html) sowie ein100-Tage-Sofortprogramm.)
Was sollte nun in den ersten 100 Tagen geschehen:
An erster Stelle stand, die verschiedenen Skandale „entschieden“ aufzuklären sowie sichere und „moderne Prüfungs- und Kontrollstrukturen“ zu schaffen. Zweitens wollte Karola Wille „das neue Direktorium als Führungsmannschaft aufstellen und als Team leiten“ sowie „die Zusammenarbeit mit den Gremien noch transparenter gestalten.“ Drittens sollten mit „den Führungskräften und Mitarbeitern Unternehmenswerte“ diskutiert werden. Es sei eine strategische Diskussion für die digitale Zukunft zu führen, „bei der inhaltliche und Ressourcenentscheidungen zusammengeführt werden“. Viertens ging es ihr darum, mit Rundfunkrat und Verwaltungsrat „digitale Weichenstellungen“ zu erörtern und beide Gremien „für die neuen Wege“ zu gewinnen. Fünftens wollte sie „erste Strukturveränderungen vornehmen und solche Bereiche wie eine zentrale Organisations- und Personalentwicklung sowie einen medienpolitische Grundsatzbereich schaffen und die Strukturen für trimediales Arbeiten konsequent befördern.“
Dies alles ist geschehen, wobei man sicherlich über die Ergebnisse streiten kann. Festzustellen ist, dass die Folgen der Skandale den MDR noch eine ganze Weile begleiten werden. Es wird weitere Gerichtsprozesse geben. Immer wieder hört man im MDR zudem nun, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Produzentinnen und Produzenten über die gewachsene Bürokratie stöhnen. Allerdings hat dies nicht immer seinen Grund darin, dass neue Dienstanweisungen eingeführt wurden, sondern dass schon lang geltende Dienstanweisungen durchgesetzt werden.
Über das 100-Tage-Programm hinaus wurde in den letzten Monaten eine Telemedienstruktur geschaffen, die nun auch im Wirtschaftsplan abgebildet wird. Somit wird offensichtlich, was der MDR für diesen Bereich ausgibt.
Doch die notwendigen „digitalen Weichenstellungen“ kann man nicht mit aller Konsequenz vornehmen, denn hier ist man durch Staatsverträge begrenzt. Auch wenn dies beständig in der Kritik steht, müssen bestimmte Beiträge nach kurzer Zeit „depubliziert“ werden. Schuld ist hier nicht der MDR, sondern gesetzliche Vorgaben. Auch ist es nicht einfach möglich, für alle Bereiche trimediale Redaktionen zu schaffen, in denen Fernsehen, Hörfunk und Online zusammenarbeiten, wie es bei der BBC schon lange Praxis ist. So gibt der MDR-Staatsvertrag vor, dass ein „geschlossener Direktionsbereich nebst den dazugehörenden Produktionskapazitäten“ in Halle angesiedelt ist, „mit dem Ziel, dort etwa ein Viertel des Zentralbereichs zu konzentrieren.“
Dies zeigt exemplarisch, wie der MDR letztlich durch einen alten Staatsvertrag aus dem Jahre 1991 begrenzt wird. Seitdem ist die technische Entwicklung rasant fortgeschritten. Neue Kommunikationskanäle sind entstanden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, steht vor neuen Herausforderungen. Doch die Medienpolitik, insbesondere die Medienminister der drei MDR-Länder können sich nicht einigen, wie der MDR-Staatsvertrag zu modernisieren ist. Dabei sind sie alle in derselben Partei, der CDU. Letztlich halten sie so den MDR „gesetzestechnisch“ im letzten Jahrhundert gefangen. Und dies gilt auch für den länderübergreifenden Rundfunkstaatsvertrag. Auch dieser ist mehr als 20 Jahre alt. Geändert wurde er mittlerweile 14mal. Doch geändert werden kann er nur, wie jeder Staatsvertrag, wenn alle Länder dem zustimmen. Daraus entsteht eine Medienpolitik des „Geben und Nehmens“, die mit den aktuellen Entwicklungen oftmals nicht Schritt halten kann. Die Zahl der Hörfunkprogramme ist begrenzt. Neue Programme dürfen nur angeboten werden, wenn alte eingestellt werden. Auch die Zahl der Fernsehprogramme von ARD und ZDF schreibt der Rundfunkstaatsvertrag fest – zum Teil bis hin zu Namen und Profil. Dabei war es doch immer wesentlicher Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung und damit „der Demokratie zu dienen“, wie es das Bundesverfassungsgericht formulierte. Wenn die öffentliche Meinungs- und Willensbildung sich dann auf weitere Kanäle verteilt, steht die Medienpolitik vor der Frage, ob diese Kanäle auch durch Angebote von öffentlich-rechtlichen Sendern abzudecken sind. Diese Frage wird derzeit jedoch zumeist auf die Frage verkürzt, ob ARD und ZDF „presseähnliche Angebote“ machen. Kinder wie auch Jugendliche könne man, so einige Medienpolitiker, dadurch erreichen, dass man Programmangebote für diese Zielgruppen in andere Programmangebote integriert. Unabhängig davon, ob man das anders sieht: dies macht deutlich, dass einzelne Ideen, wie die eines Kinderradios bzw. eines Jugendkanals, nicht allein durch Intendantinnen und Intendanten, sondern nur mit Zustimmung der Medienpolitik umgesetzt werden können.
Die Reform des MDR wird nicht allein durch Staatsverträge begrenzt. Der MDR kann nicht frei über seine mehr als 650 Mio. Euro an Einnahmen verfügen. Doch wer weiß schon, dass mehr als ein Sechstel der Einnahmen des MDR in die „sogenannten“ Gemeinschaftseinrichtungen der ARD (GSEA) fließen. Dies ist mehr, als der MDR für sein eigenes Fernsehprogramm ausgibt. Diese Ausgaben steigen kontinuierlich. Mehr als 550 Mio. Euro gab die ARD laut KEF-Bericht im Jahre 2010 für Sportübertragungen aus. Mehr als 10 Prozent davon, also 55 Mio. Euro, zahlte der MDR. All die Verbindlichkeiten und Verträge, die der MDR innerhalb der AD eingegangen ist, lassen sich nicht so einfach lösen. Will man aus einer Umlagefinanzierung aussteigen oder diese auch nur reduzieren, riskiert man, dass im Gegenzug eigene umlagefinanzierte Projekte und Zulieferungen in Frage gestellt werden.
Auch die tarifvertraglich gesicherte Altersversorgung, die später eine für einfache Mitarbeiter geringe, für Spitzenverdiener eine vielfach höhere Zusatzrente sichert, verlangt jährlich nach steigenden Abführungen. Zudem gibt es keine großen Spielräume, neue Stellen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen. (Der MDR hat über 2.000 feste und 1.200 fest-freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.)
Doch braucht man nicht für eine Reform zusätzliche finanzielle Mittel sowie Spielraum, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen? Sicher, es gibt ein Beispiel, das zeigte, wie eine Reform in wenigen Monaten möglich wurde. Der Rundfunk der DDR gewann Ende 1989 die Akzeptanz der Bevölkerung. Sendungen erreichten über als die Hälfte des Publikums. Dabei gab es weder mehr Geld, noch mehr Stellen. Allerdings mussten sich die Führungsebenen dem Votum der Mitarbeiter stellen. So gab es nicht nur in der ersten Ebene Veränderungen. Beim MDR waren die meisten Direktoren gerade gewählt, auch Wellenchefs und Programmbereichsleiter lassen sich nicht einfach um- oder absetzen.
Im letzten Jahr gab es viele weitere Veränderungen beim MDR. Im Fernsehprogramm wurden Sendungen modernisiert, Moderatoren ausgetauscht, neue Formate entwickelt. Dies blieb nicht immer ohne Kritik, insbesondere der Fans, die ihre beliebten Moderatoren vermissten.
Noch vor zwei Jahren war es undenkbar, dass MDR-Sputnik-Konzerte im Fernsehen übertragen wurden. Sie galten als „Quotenkiller“. Die diesjährige Praxis bewies zudem das Gegenteil.
Eine Initiative zum „besonderen Kinderfilm“ wurde angeschoben, die Untertitelung der Fernsehprogramme wird ausgebaut. Die Gewinnspiele, insbesondere bei JUMP, die faktisch staatsvertraglich erlaubte Produktwerbung sind, stehen auf dem Prüfstand. Und vom Deutschen Fernsehballett hat man sich als Gesellschafter getrennt.
So, wie der MDR seinen Telemedienangeboten eine neue Struktur gegeben hat, steht als nächste Aufgabe, die Programmangebote zu strukturieren. In Zukunft darf es nicht mehr – wie in 20 Jahren zuvor – nur um die Quote der Sendungen gehen. Es muss präzisiert werden, welche Zielgruppe man wie erreichen will. Daraus ergeben sich neue Anforderungen an die Macher. Es reicht dann nicht mehr aus zu sagen, dass die Qualität eines Radioprogramms stimmt, weil die „Stundenuhr“ aufgeht. Doch auch die Medienforschung muss neu aufgestellt werden. Bisher erfährt man, wen man in welcher Zielgruppe erreicht. Doch welche Wirkung man erzielt, bleibt zumeist unerforscht. Auch da kann man Erfahrungen der BBC übernehmen.
Natürlich sind noch Wünsche offen, blieben Hoffnungen unerfüllt. So wünscht man sich, dass der MDR mehr die hiesige Produzentenlandschaft berücksichtigt. Wenn bei der Ausschreibung eines Tatorts sich die eigene Tochterfirma dem Wettbewerb einer öffentlichen Ausschreibung stellen muss, ist dies ein gutes Zeichen – und für andere ARD-Anstalten nicht nur undenkbar, sondern eine Provokation.
Wenn dann eine „westdeutsche“ Firma gewinnt, zeigt dies u.a. auch, dass hiesige Firmen noch einen Nachholebedarf haben. Dieser hat sich unter anderem daraus ergeben, dass dem MDR jahrelang die unabhängigen Produzenten seines Sendegebiets – bis auf wenige Ausnahmen – egal waren. Doch Medienfirmen zu fördern, ein Standortprofil – zum Beispiel als Kindermedienland – auszuprägen, kann nicht allein Aufgabe des MDR sein. Da sind auch die Landesregierungen gefordert. Man muss nur einmal sehen, was Nordrhein-Westfalen, Berlin-Brandenburg, Bayern, Hamburg und auch Baden-Württemberg ihren Medienfirmen bieten, wie sie ihre Medienförderung unterstützen. Die Regierungen Sachsens, Sachsens-Anhalts und Thüringens schaffen es derweil nicht einmal, sich auf gemeinsame Schwerpunkte zu einigen.
Und so wird immer wieder deutlich: Für ihre „Vision MDR 2017“ braucht Karola Wille Unterstützung. Nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Gremien des Senders sind gefordert, sondern auch die Medienpolitik.
Doch wollen die Medienpolitiker einer unabhängigen MDR, der „den gesellschaftlichen Diskurs in den drei Staatsvertragsländern“ befördert und „auch Alternativen“ aufzeigt? Sehen sie es auch so, dass die Demokratie „mündige Bürger“ braucht? Wollen sie, dass der MDR „die Entwicklungen in allen Lebensbereichen kritisch“ wiedergibt und „komplexe Zusammenhänge anschaulich“ macht? Dies wird sich u.a. daran zeigen, ob und inwieweit sie dem gesetzlichem Novellierungsbedarf nachkommen.
Bei allen, auch bisher unerfüllten, Wünschen und Forderungen ist zu berücksichtigen: es gilt das Intendantenprinzip. Nach der Wahl hat die Intendantin das Sagen. (Da gibt es übrigens keinen großen Unterschied zum Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. Nach der Wahl kann das Parlament zwar Gesetze erlassen, die Regierung ansonsten jedoch nur „bitten, etwas zu tun“. Ob die Regierung dem nachkommt, ist ihre Sache.)
Es ist festzustellen, dass Karola Wille im ersten Jahr mehr gehalten als sie versprochen hat. Sie wollte und will viel verändern. Sie hatte und hat sich viel vorgenommen. Manchmal ist sie da für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für den Sender wie auch für die ARD zu schnell.
Vor einem Jahr fragte mich das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer, wohin ich den MDR unter Karola Wille steuern sehe. Und wie antwortete ich darauf? „Wenn Karola Wille das Ruder wie in ihrer Vision „MDR 2017“ beschrieben führt, wird der MDR junges und altes Publikum gewinnen und für eine neue Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen.“ Ostdeutschland unterscheide „sich in vielem von Westdeutschland. Der MDR muss die hiesige Sicht stärker in der ARD zur Geltung bringen. Der MDR sollte Formate neu entwickeln, die sowohl unterhalten als auch einen größeren Beitrag zur öffentlichen Meinungs- und Willensbildung leisten.“
Sie würde dann erfolgreich sein, wenn sie, wie „auf dem Weg ins Intendantenamt“ viele für sich und ihre Ideen begeistert wie auch deren Ideen aufgreift. „So könne der MDR viel und viele gewinnen.“
Nach einem Jahr sehe ich den MDR weiterhin auf diesem Weg.