Kritik ist eine Grundfeste der demokratischen Ordnung. Ohne Kritik keine Debatte, und ohne Debatte keine Wissenschaft. Allerdings macht sich an der Differenziertheit der Argumente die Intention des Kritikers fest. Ist das Ziel Bekehrung (also Überzeugung vom eigenen Argument) oder Aufklärung (also Anhalten zum eigenen kritischen Denken)? Das Problem an der Bekehrung ist die implizite Annahme des Kritikers, er wisse, was “wirklich” passiert. Andere Perspektiven sind falsch. (Allerdings ist auch die Position der Kritiker nicht widerspruchsfrei: Das Argument, eine wirkliche Pandemie gebe es nicht, alles sei nur Hype ohne belastbare Zahlen, passt nicht zu einer radikal poststrukturalistischen Haltung, alles sei nur Diskurs getragen durch Machtinteressen.) Das Problem mit der Aufklärung: Komplexität, Widerspruch, Ambivalenz.
Otfried Jarren mahnt zur Unabhängigkeit und Differenziertheit journalistischer Berichterstattung. Er fordert ein Sich-Lösen vom engen Exekutiv-Experten-Kreis, aber zersetzt dabei nicht das Vertrauen in Daten und Wissenschaft. Das ist eine Chance, etwa für die Debatte zur Klimakrise. Wissenschaftler erhalten im gegenwärtigen Diskurs wieder mehr Gewicht. Es wird so künftig vielleicht auch schwerer, die Ergebnisse der Klimaforschung zu ignorieren. Aber auch die Klimakrise ist ja bekanntlich eine Glaubensfrage.
Mandy Tröger, Medienrealität, 01.04.2020 (online)