Wir sagen immer wieder das Gleiche, und es fehlt der Resonanzraum im Politischen, es verfängt nirgendwo, und dann ärgere ich mich hinterher nur wieder, dass ich mich angestrengt habe und es doch nichts bringt. […] Als wir 2017 auf dem Dorf in Brandenburg plötzlich lauter Rechte hatten, darunter ein Pfarrer, habe ich gedacht: Was ist mit den Leuten los? Was ist im Osten eigentlich passiert? Ich habe mir die Zahlen angeguckt und gemerkt, das ist kein gefühltes Unbehagen, da ist richtig was schief. Allein, dass es keine Region in Westeuropa gibt, in der den Menschen, die dort wohnen, so wenig Grund und Boden und Immobilien gehören wie in Ostdeutschland. […]
Mir kommt es so vor, als würde diese tiefe Erfahrung von Kränkung nach der Wende in eine diffuse Wut gemündet sein, in der wahlweise die Eliten oder die Schwächsten attackiert werden. Alles wird als ungerecht empfunden. Das wirkt oft absurd, ich erlebe das bei uns auf dem Dorf ständig. Ich bin überzeugt, dass es hilft, zu sortieren. Und die Herabsetzungen, die die Ostdeutschen immer wieder auf allen Ebenen erlebt haben, auch drastisch zu benennen. Statt von Transformationskompetenz und Resilienz der Ostdeutschen zu faseln. Und endlich systematisch Abhilfe zu schaffen, wo man noch rankommt: bei Löhnen, Renten, Infrastruktur und zuallererst bei Repräsentanz in Verwaltung und Medien. […]
Wenn man sagt, das ist ein globales Phänomen, ist das ein gutes Argument dagegen, dass die Ostler ja alle eine totalitäre Gehirnwäsche hatten und nicht imstande sind, sich demokratisch zu verhalten
Frauke Hildebrandt, berliner-zeitung.de, 17.11.2024 (online)