Die ARD hat Freitagabend die Flucht nach vorn angetreten. Nach wochenlangem Schweigen haben acht ARD-Intendanten erkannt, dass der Rückweg versperrt ist. Eine aus ihrer Führungsriege wurde bei unmoralischem und möglicherweise rechtswidrigem Verhalten ertappt. Das Vertrauen der Öffentlichkeit ist nicht nur gegenüber dem RBB, sondern dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestört. Die Fragen, ob auch in anderen ARD-Anstalten ähnlich verschwenderisch mit dem Rundfunkbeitrag umgegangen wird, werden immer lauter. Aber nun hat der amtierende ARD-Vorsitzende klargestellt, nur der RBB ist das schwarze Schaf in der ansonsten blütenweißen ARD-Familie. Es mag ein Zufall sein, dass die Distanzierung von der RBB-Geschäftsleitung zu dem Zeitpunkt erfolgte, als durch das ZDF-Magazin „ZDF frontal“ bekannt wurde, dass die damalige RBB-Personalchefin Sylvie Deléglise – inzwischen Verwaltungsdirektorin des RBB, das RBB-Modell, mit seinen umstrittenen variablen Gehaltsteilen, im April 2022 auf einer Personalleiterkonferenz aller Rundfunkanstalten innerhalb der ARD vorgestellt hatte. Angeblich hätten die anderen ARD-Intendanten davon nichts erfahren. Entweder muss man an dieser Aussage zweifeln, oder das ARD-Interne Informationssystem funktioniert nicht. Das wäre genauso bedenklich. …
Flucht nach vorn, ist eigentlich ein Widerspruch. Doch im Fall der ARD ist es die Flucht vor einer grundsätzlichen Auseinandersetzung um den Wert des Rundfunkbeitrages und die Verantwortung gegenüber dem Bürger. Die „Fliehende“ greift gewissermaßen zum Präventivschlag nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. Damit soll nicht behauptet werden, dass alle ARD-Intendanten „Raffkes“ sind, alle Geschäftsleitungen verschwenderisch mit den Beitragsgeldern umgehen, oder sich alle Rundfunk- und Verwaltungsräte von der Macht und Eloquenz einer Senderleitung einschüchtern lassen, aber anscheinend lassen Geschäftsordnungen, Compliance-Regeln und Informations- und Transparenzverpflichtungen innerhalb aller ARD-Sender noch zu viel Spielraum für Verstöße wie beim RBB. …
Sicher müssen auch andere und zusätzliche Kontrollmechanismen überprüft werden, aber der Spielraum der Gremien zur Kontrolle und der gesetzliche Zwang der Geschäftsleitungen sie dabei zu unterstützen, sind bereits heute größer als sie in der Regel genutzt werden. …
Die ARD muss in Bezug auf die Verwendung des Beitrages und der internen Kontrolle die oft angemahnten Reformen endlich einleiten. Dazu gehört, die mehrfach geforderte finanzielle und fachliche Ausstattung der Gremien zu verbessern und diese als unabhängige Kontrollorgane in alle relevanten Entscheidungsprozesse einzubinden. Im Oktober wollen die Länder den Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrages unterschreiben. Es wäre sicher eine gute Unterstützung für dieses Vorhaben, wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten bis dahin in einer Selbstverpflichtung schärfere Regeln für die Verwaltungsausgaben, inklusive der Intendantengehälter und eine Stärkung der Gremien, festlegen würden.
Helmut Hartung, medienpolitik.net, 22.8.2022 (online)