Für mich gibt es drei Defizite, denen zum Teil jetzt noch begegnet werden kann. So wurde offensichtlich, dass es zu vielen Journalisten schlicht an statistischem Wissen fehlt. Dieses ist aber notwendig, wenn die Validität von Zahlen zu Infizierten, Toten oder von Ergebnissen der Testmessungen interpretiert werden soll. Hier rächt sich das Wegsparen von Wissenschaftsjournalisten, welche wissenschaftliche Aussagen von Experten auch wissenschaftlich einordnen können. Damit meine ich auch mehr einordnender Kontext, die Thematisierung von Strukturen statt von Einzelfällen. Zum Zweiten wünschte ich mir eine stärkere metakommunikative Thematisierung der Rolle der Medien durch die Medien, die ja nun wirklich auch unter erschwerten Bedingungen ihren Job machen und nicht nur inhaltlich rasch an Grenzen stossen. Ich denke, dass nur ein selbstreflexiver Journalismus ein glaubwürdiger Journalismus ist. In inhaltlicher Hinsicht erwarte ich zum Dritten eine viel kritischere Auseinandersetzung mit dem jetzt zu Recht eingesetzten Notrecht. Wie lange kann der Bundesrat nun ohne parlamentarische Debatte radikale und weitreichende Entscheide fällen? Was bedeutet dies für den demokratischen Prozess, wenn Milizparlamentarier Homeoffice machen und beispielsweise grüne Volksvertreterinnen nur noch zuschauen können, wie darüber entschieden wird, ob und wie Luftfahrtgesellschaften Finanzspritzen erhalten?
Vinzenz Wyss, Language matters – Blog für Sprache und Kommunikation, 02.04.2020 (online)