Zitiert: Empörungsmechanismus gehackt: Empörung als eigenständige Nachrichtenkategorie

Die Vertreter dieser Empörungskultur werden für gewöhnlich dem linken Spektrum zugeordnet, die moralischen Vergehen der Beschuldigen können bereits Jahre zurückliegen. Schon früh spielten beim „Canceln“ immer wieder digitale Jugendsünden von Prominenten eine Rolle. … Inzwischen läuft dieser Entrüstungsmechanismus so routiniert ab, dass er fast zu einer eigenen Nachrichtenkategorie geworden ist. … Das Buddeln in alten Tweets scheint für einige so etwas wie eine Lebensaufgabe geworden zu sein, fast schon eine Art Religion. … Es wird gescreenshottet, gepostet und gebrüllt, und jede Aussage an den heutigen moralischen Wertvorstellungen gemessen. …. Der Unterschied zu echten Religionen ist: Entschuldigungen helfen hier gar nichts mehr, es gibt in dieser Weltanschauung keine Sühne – es gibt nur die Bestrafung. Was ebenfalls keinen Wert hat: Kontext. Warum eine Person einst einen strittigen Tweet verfasste, auf welche politischen Diskussionen er sich möglicherweise seinerzeit bezog und in welcher Lebenssituation der Beschuldigte damals steckte, wird allenfalls am Rande diskutiert. …

Die erweiterte Twitter-Suche ist inzwischen so präzise und bietet so viele Einstellungsmöglichkeiten, dass sich von jedem x-beliebigen Nutzer innerhalb weniger Sekunden Tweets aus früheren Jahren finden lassen. Die Suche lässt sich zeitlich eingrenzen, man kann sogar nach bestimmten Wörtern suchen. ….

Was rechte Kreise nun tun, ist nichts anderes als ein Spiel mit der Moral, die sie selbst ja gar nicht besitzen … und sie haben sich die Empörungsmechanismen der Linken genau abgeguckt. Sie wissen, welche Knöpfe sie drücken müssen, um ihre wunden Punkte zu treffen. Der Weg dahin wurde ihnen über Jahre hinweg geebnet. In gewisser Weise könnte man sagen, das Cancel-Gebrüll der vergangenen Jahre fällt den Akteuren an dieser Stelle auf die Füße.

Matthias Schwarzer, rnd.de, 12.10.2021 (online)

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Zitat der Woche
Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
Out of Space
Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)