Wer „Babylon Berlin“ in 140 Ländern sieht, der wird also hervorragend unterhalten. Aber wird er auch gut informiert? Das Studienfach (massen-)medial vermittelter Feierabendbildung nennt sich „Public History“ und wird zwar nicht an Universitäten gelehrt, klopft die inneren Werte retrospektiver Fiktionen aber auch inoffiziell sorgsam auf Akkuratesse ab. [… Bei „Babylon Berlin“ war sich die linksliberale Friedrich-Ebert-Stiftung mit der stockkonservativen „NZZ“ daher einig: über den Inhalt könne man streiten, aber Kostüm, Kulisse, Kontext seien geschichtswissenschaftlich plausibel und ideologisch neutral. […]
Für endgültige Anziehungskraft sorgt vom Börsencrash bis zur Machtübernahme ein feuchtfröhlicher Hedonismus, mit dem wir uns der eigenen – leider, leider – oft abgewürgten Freiheitsliebe versichern. Von wegen toxische Sekundärtugenden als Steigbügelhalter für Hitlers Helfer: eigentlich, lautet der Subtext solcher Serien, wollten auch Deutsche doch nur ein bisschen von jenem Spaß, den uns erst Wilhelm, dann Adolf verwehrt haben! […]
Auch das hat es gegeben, gewiss. Allerdings am äußeren Rand einer Gesellschaft, die in den Zwanzigern eher um warme Mahlzeiten als Endorphinschübe kämpfen musste. Auch in den ersten 28 Episoden blieb das Schattige, Dreckige, Kriminelle der Roaring Twenties zwar alles andere als unterbelichtet. Am Ende aber diente all dies doch nur als Bühnenbild einer opulenten Sause. Und wer dazu noch all die anderen Realfiktionen der jüngeren Zeit betrachtet, könnte die zwölf diabolischen Jahre danach, statt der zwölf wilden zuvor als Kontinuitätsbruch definieren. […]
Während das Fernsehen dafür bloß Dokumentarplätze übrig hat, macht „Babylon Berlin“ leichtgläubigen selbst 1931 noch weiß, wie elegant, lässig und cool wir alle doch wären, wenn Hitlers (wenige) Helfer uns nicht so fies dazwischengefunkt hätten.
Jan Freitag, tagesspiegel.de, 9.10.2022 (online)