Zitiert: Kann das Bundesverfassungsgericht die Sender zu mehr Ausgewogenheit und Vielfalt verpflichten?

Vor ein paar Wochen gelangte ein merkwürdiger Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ans Tageslicht. Eigentlich eine Nicht-Entscheidung, zwei Seiten kurz, es ging um die Beschwerde eines verärgerten Medienkonsumenten gegen den Rundfunkbeitrag. Der Mann fand, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse umfassend über alle gesellschaftlichen Strömungen berichten, zudem neutral, nicht diffamierend und einseitig. Dieser Auftrag werde „systematisch“ verfehlt, dafür wolle er nicht zahlen.

Man ahnt, was den Beschwerdeführer umtrieb. Das Gericht wies die Klage aus formalen Gründen ab, er hätte sich zuerst an die unteren Instanzen wenden müssen. Und schob dann einen kryptischen Satz nach, der für den Mann wie ein halber Sieg geklungen haben muss: Ob man mit diesem Argument eine Klage gegen den Rundfunkbeitrag führen könne, diese Frage habe die Rechtsprechung noch „nicht beantwortet“. Das Karlsruher Gericht stellte damit den kühnen Gedanken in den Raum, man könne womöglich gerichtlich geltend machen, „der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein der Vielfaltssicherung dienendes Programm anzubieten, werde strukturell verfehlt“. […]

Und im Gebührenurteil von 2018 hat das Gericht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch einmal an seinen Job erinnert: „Er hat so zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann.“

Wolfgang Janisch, sueddeutsche.de, 08.08.2023 (online)

Aus dem Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. April 2023 (1 BvR 601/23):

„Es ist jedoch weder dargelegt noch ersichtlich, dass bereits hinreichend geklärt ist, ob und gegebenenfalls nach welchen Maßstäben unter Berücksichtigung der Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der der Vielfaltsicherung dienenden Selbstkontrolle durch plural besetzte anstaltsinterne Aufsichtsgremien (vgl. BVerfGE 136, 9 <30 ff. Rn. 33 ff.>) vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden kann, es fehle an einem die Beitragszahlung rechtfertigenden individuellen Vorteil (vgl. BVerfGE 149, 222 <262 Rn. 80 f.>), weil das Programmangebot nach seiner Gesamtstruktur nicht auf Ausgewogenheit und Vielfalt ausgerichtet sei und daher kein Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern bilde.  […]

Damit ist jedoch die vom Beschwerdeführer aufgeworfene und mit Blick auf die aus Art. 19 Abs. 4 GG erwachsende Verpflichtung zur Gewährung eines effektiven individuellen Rechtsschutzes naheliegende Frage nicht beantwortet, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen vor Gericht gegen die Beitragserhebung geltend gemacht werden kann, der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein der Vielfaltsicherung dienendes Programm anzubieten, werde strukturell verfehlt, so dass es an einem individuellen Vorteil fehle.“

Onlinefilm.org

Zitat der Woche
Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
Out of Space
Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)