Ich würde Emotionen und Fakten gar nicht als Gegensatz darstellen. Emotionen sind Teil unserer menschlichen Existenz – wir sind soziale Wesen, ständig im Austausch mit anderen, und wollen von unseren Mitmenschen gesehen werden. Diese Interaktionen haben immer auch eine emotionale Grundlage. Sonst wären wir keine menschlichen Wesen, sondern einsame Nomaden.
Emotionen und Fakten gehen Hand in Hand: Beschäftigen wir uns mit dem Börsencrash, erleben wir das gleichzeitig auch als bedrohlich. Emotionen sind dabei auch eine Art, Fakten zu bewerten und verarbeiten: Angst signalisiert etwa Unsicherheit oder Bedrohung. Das hilft uns, Informationen einzuordnen und auf unser Leben zu beziehen.
In diesem Sinn sind Emotionen kein Gegensatz zur Rationalität, sondern eine menschliche Ressource – auch im Journalismus. Zu reinen Print-Zeiten bedeutete die Leser-Blatt-Bindung eben auch eine emotionale Bindung der Lesenden an das Medium. Sie sollen sich zugehörig fühlen und merken, dass ihre Interessen wahrgenommen werden. […]
Ein aktuelles Beispiel ist der jüngste Wahlkampf, der so stark vom Thema Migration geprägt war: Migration wurde in politischen Debatten – und auch medial – häufig als Gefahr und Bedrohung für den Sozialstaat dargestellt. Und die Berichterstattung im Wahlkampf wurde weitestgehend auf dieses Thema reduziert und dabei emotional aufgeladen. Selbst als die Zahl der Asylanträge zurückging, blieb das Bedrohungsszenario medial dominant.
Das zeigt, welche negativen Potenziale Emotionen aufweisen können: Emotional geframte Themen können sich verselbstständigen und dann die Berichterstattung dominieren. Und das unabhängig von den Fakten. […]
Es ist offensichtlich, dass der Journalismus aktuell um seine eigene Autorität und Deutungshoheit kämpft. Denn er steht im Wettbewerb mit vielen anderen Kommunikationsmodi – insbesondere mit privater und öffentlicher Kommunikation auf digitalen Plattformen. Deren Algorithmen zielen darauf ab, Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange auf der Plattform zu halten. Das gelingt mit emotionaler Adressierung besonders erfolgreich.
Mit diesen Angeboten konkurriert der Journalismus um Aufmerksamkeit. Er braucht Strategien, um sich in Zukunft behaupten zu können – ohne simpel zu kopieren, was auf digitalen Plattformen stattfindet. Es kann nicht die Lösung sein, noch mehr Clickbaiting zu betreiben.
Margreth Lünenborg, dfjv.de, 07.05.2025 (online)