Journalisten denken meist linker als die durchschnittliche Bevölkerung. Welche Folgen hat das?
Der „Schweizer Monat“ publizierte dieser Tage einen Artikel über die politische Ausrichtung von Journalisten. Der Autor schreibt, was schon oft festgehalten wurde: Das Herz der Informationsvermittler schlägt – nicht nur in physischer Hinsicht – links. Erkenntnisfortschritte in Bezug auf diese generelle Diagnose sind allerdings kaum zu erkennen. Seit Jahren kommen die Analysen zum selben Ergebnis. Auch deren Grundlagen sind grossenteils dieselben. Wenn es um mehr als intuitive, auf persönlichen Konsumerfahrungen beruhende Einschätzungen geht, beruft man sich auf Selbsteinschätzungen von Medienschaffenden. … Wie links die heutigen Grünen in Deutschland sind, ist indessen nicht mehr so klar, und ohnehin sind nicht alle politischen Fragen in ein simples Links-Rechts-Schema einpressbar. Erfahrungsgemäss sind zudem Präferenzen für linke Positionen in der Jugend ausgeprägter als in späteren Lebensphasen … So stehen auf einer Skala von 1 (sehr links) bis 10 (sehr rechts) die Wirtschaftsjournalisten mit durchschnittlich 4,67 rechts von ihren Kollegen in den Bereichen Sport (4,11), Politik (3,79) und Kultur (3,05). Linke Positionen haben also vor allem in «weichen» Bereichen wie der Kultur stärkeren Rückhalt – eine Erkenntnis, die sich mit alltäglichen Beobachtungen deckt. …
Den medialen Linksdrall relativiert ferner ein anderer Faktor: Journalisten rücken in die Mitte, sobald sie die Karriereleiter hochklettern. Am linksten sind die Reporter und Redaktoren, während der durchschnittliche Chef vom Dienst auf der politischen Skala bei 4,05, der Ressortleiter bei 4,68 und der Chefredaktor bei 4,72 zu stehen kommt – also fast in der Mitte.
Da Chefs in der Regel bei politischen Schlüsseldossiers das Zepter in der Hand haben, färbt ihre Haltung entsprechend auf die Kommentare und Themensetzung ab. Der Einfluss von oben wirkt umso mehr, seitdem Fachjournalisten – wenn es sie überhaupt noch gibt – in Redaktionen deutlich an Einfluss verloren haben. …
Bleibt die Frage, ob die tendenzielle politische Einseitigkeit der führenden Medien einen Einfluss auf die politische Ausrichtung der Schweiz hat. Eher scheint es so, dass sich die Redaktionen sukzessive den veränderten politischen Konstellationen anpassen, etwa bei der Beurteilung der Migrationsfrage. Mangels Analysen mit harten Daten darf man aber über den Einfluss der Medien lange spekulieren. Im Einzelfall mögen entsprechende Effekte wirksam sein. In der Gesamtschau wohl nicht. Die Resultate der Abstimmungen sind jedenfalls öfters nicht und jene der Wahlen selten kongruent mit den Ausrichtungen der Redaktionen. Es mag möglich sein, Medienkonsumenten kurzfristig zu manipulieren. Auf die lange Dauer ist jedoch der mediale Output so weitläufig, widersprüchlich und vielfältig, dass der Interessierte in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Rainer Stadler, infosperber 17.12.2021 (online)