Medien sind sehr viel weniger Kontrolleure der Macht als deren dienstbare Gatekeeper. Sie fungieren wie „umgedrehte“ Türsteher. Denn sie entscheiden, wer in der Medienhölle schmoren muss und wer — aus welchen Gründen auch immer — verschönt wird und draußen bleiben darf. Sie handeln also genauso interessengeleitet wie jene, deren Günstlingswirtschaft sie sittenstreng kritisieren. Mit einem wesentlichen Unterschied: Über Seilschaften im Medienbetrieb hört und liest man eher selten.
„In der Zeitung nichts über die Zeitung!“ Das war bereits der Grundsatz der Presseverleger des 19. Jahrhunderts. Es soll gefälligst unter der Decke bleiben, wenn Vettern- oder Freunderlwirtschaft im eigenen Haus vorkommt. Wenn etwa Politikjournalisten mit Parteigrößen zum gegenseitigen Vorteil verbandelt sind oder Verwandte von Politikjournalisten für Regierungsmitglieder arbeiten. So wurde im Spiegel zwar scharf kritisiert, dass Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ihren Sohn im Regierungsflieger mitgenommen hat, aber schamhaft verschwiegen, dass die Tochter des Spiegel-Reporters, der Verteidigungsminister Boris Pistorius in einer Titelgeschichte schwärmerisch porträtierte („Minister Perfect“), als Redenschreiberin für diesen Minister tätig ist.
Im Springer-Konzern wurde „Habecks Graichen-Clan“ wochenlang rauf und runter skandalisiert, aber die beiden Ehen des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner mit Springer-Journalistinnen finden dort kaum Erwähnung – höchstens mal in der Klatschkolumne irgendeiner Gräfin.
Wolfgang Michal, FREITAG 21/2023 (online)