Doch der mediale Umgang mit Straftaten hat sich signifikant verändert. In rasantem Tempo erscheinen heute True-Crime-Formate, die dem Grusel, der morbiden Faszination, aber auch dem Personenkult um Straftäter:innen die große Bühne bieten. Produktionen wie „Bad Vegan“, „The Tinder Swindler“ oder „Worst Roommate Ever“ beleuchten dabei die Gräuel der Kriminalität mit Stimmen von Opfern und unter Abwesenheit der Täter:innen. Gleichzeitig entstehen jedoch zunehmend Formate, die verurteilten Straftäter:innen das eigene Narrativ, zuweilen unhinterfragt, überlassen.
Die Netflix-Formate „Inventing Anna“ und „Shiny_Flakes“ unterstützen die Betrügerin Anna Sorokin sowie den Online-Dealer Maximilian Schmidt, die eigene Schuld in fabelhafte Erzählungen unkonventionellen Erfolgs umzudichten. Deutsche Talkshows wie „Markus Lanz“, die „NDR Talkshow“ oder „Stern TV“ ermöglichen dem verurteilten Doppelmörder Jens Söring die kritikfreie Selbstdarstellung als Opfer US-amerikanischer Justiz. Anstatt Straftäter:innen kritisch zu hinterfragen, befähigen Medien durch ihre sensationsfokussierte Berichterstattung das Gegenteil: einen popkulturell vermarktbaren Personenkult.
Felix Jung, uebermedien.de, 27.5.2022 (online)
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