Vor vielleicht fünf Jahren sah ich in einem Strandcafé an der niederländischen Nordseeküste eine junge Frau sitzen, die ihr Baby stillte.
Die Mutter blickte, während das Kind an ihrer Brust lag und trank, auf die Anzeige ihres Handys, das sie in ihrer freien rechten Hand hielt. In bestimmten großstädtischen Arealen wird das wahrscheinlich längst ein alltäglicher Vorgang sein, mich traf dieser Anblick wie ein Schock.
Wenn man weiß, welche Bedeutung die allererste Kommunikation zwischen Mutter und Kind hat und dass diese vorwiegend über den Augenkontakt und den Blick beim Stillen vermittelt ist, kann einem angst und bange werden. Das Kind im Strandcafé erblickt beim Trinken nicht mehr den „Glanz im Mutterauge“ (Heinz Kohut), der es valorisiert und in die Welt lockt, sondern unruhig flackernde Augen, deren Blick von etwas anderem angezogen wird.
Der nach Spiegelung suchende Blick des Kindes geht ins Leere. Es befindet sich auf dem Arm der Mutter, ist aber dennoch bereits in der archaischen Zeit des Stillens einsam.
Dazu passt eine Beobachtung, die Salman Ansari unlängst in der FAZ beschrieben hat: „Neulich in der S-Bahn fiel mir eine junge Mutter auf, die ihr Baby mit einer Milchflasche fütterte. Das Baby war unruhig und unterbrach immer wieder das Nuckeln. Daraufhin hielt die Mutter dem Säugling ein Smartphone vors Gesicht und spielte ihm ein Video vor. Das Baby saugte begierig die Milch ein, während sich seine Pupillen hin und her bewegten.“
In der Stadt sehe ich ein junges Elternpaar. Er telefoniert, sie wischt auf ihrem Smartphone herum. Das vielleicht vierjährige Kind trottet zwischen ihnen verloren vor sich hin. Merken sie nicht, welche Missachtung sie ihrem Kind entgegenbringen? Und wie einsam es zwischen ihnen ist?
Götz Eisenberg, Telepolis, 30.07.2024 (online)