Algorithmen üben eine raumzeitliche Kontrolle über den Alltag aus. Sie lernen anhand historischer Daten, welche Produkte man morgen kauft, welchen Partner man datet und welche politische Partei man wählt. Sie sorgen damit für eine Entzeitlichung und Stauchung politischer Prozesse, weil das, was in der politischen Arena verhandelt werden sollte, in opaken Maschinenräumen bestimmt wird. Je stärker die Ergebnisse determiniert sind, desto mehr schrumpft der politische Raum. Es scheint, als habe die Repräsentationskrise der Demokratie ihre Ursache auch darin, dass man sich von virtuellen Assistenten, die einem sekündlich das eigene Denken bestätigen, besser repräsentiert fühlt als von Volksvertretern.
Gleichwohl: Es wäre fatal, die Zeitstrukturen politischer mit denen algorithmischer Systeme gegeneinander auszuspielen. Parlamente werden nie mit der Geschwindigkeit des Internets mithalten können. Sie können aber Tempolimits und Leitplanken setzen – sowohl regulativ als auch diskursiv, indem sie durch Debatten dafür sorgen, dass der Bürger nicht mehr der Bewegte seiner Daten, sondern seiner Überzeugung ist.
Adrian Lobe, sueddeutsche.de, 17.05.2019 (online)
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