Selbstverständlich hat ein Schriftsteller, nur weil er einen beträchtlichen Teil seiner Lebensenergie in sein Opus magnum gesteckt hat, kein Anrecht auf eine Auszeichnung. Und ob die Vergabe eines kommerziell aufgefassten Preises, der weder an die Bedeutung des Büchner- noch an die des Wilhelm-Raabe-Preises heranreicht, an einen konfektionierten Roman „eine Schande für die Literatur“ (Meyer) ist, das mag man auch nicht zwingend glauben. […] Es ist gut, erleichternd und erfrischend, wenn Autoren die Regeln brechen. Auch und vor allem die Regeln des Literaturbetriebes, der heute mehr denn je auf Konformität angelegt ist und auf eine Tugend, die freie Schriftsteller zu gefälligen Dienern jener Erwartungen macht, für deren Erfüllung es ebendiese Art von Preisen gibt: Dankbarkeit. Es ist beruhigend, dass in all der demütigen Erbötigkeit plötzlich Unruhe herrscht, weil einer die Spielregeln infrage stellt, auch wenn er sie selbst bis zum Augenblick seiner maßlosen Enttäuschung selbst akzeptiert hatte.
Schon der Vorwurf, Clemens Meyer sei ein schlechter Verlierer, sagt mehr über den Geist der Branche aus als über Meyers Nehmerqualitäten, denn: Warum muss ein Schriftsteller ein Verlierer oder ein Gewinner sein? Autoren sind keine Sportler, die einander in den Disziplinen Stil und Themenverwandlung messen sollten. Ein Roman ist ein an sich konkurrenzloses Werk. Die Konditionen der Kür unterliegen allerdings der Ranking-Ideologie, die sich in der Außendarstellung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der den Preis vergibt, als hübsches Diversitätstableau präsentiert.
Aber die Vorstellung, ein mit Longlists und Shortlists vorbereiteter Wettstreit würde die Bandbreite literarischer Produktion abbilden, ist nur die kleine und sehr, sehr naive Schwester der nun mal kalten marktwirtschaftlichen Realität.
Hilmar Klute, sueddeutsche.de, 20.10.2024 (online)