Er hält Gendern ebenso für ein entbehrliches Zeitgeist-Phänomen wie Latte Macchiato, den inversen Rechtsverteidiger sowie die asymmetrische Dreierkette. Er unterhält kein Instagram-Konto und hat zwar eine Vorstellung von Tiki Taka, nicht aber von Tiktok. Vielleicht ist er sogar einer der letzten Deutschen, die um 20.15 Uhr einschalten, um linear fernzusehen. Man könnte ihn als gutartigen Reaktionär bezeichnen, mit Fußball verträgt sich diese Eigenheit hervorragend.
Als er nach dem Japan-Spiel in der Rolle des Funktionärs zum Fernsehen sprach, war er so verschwitzt und abgekämpft, dass man sich fast Sorgen machte. Als er jetzt in Dortmund interviewt wurde, war er nicht weniger verschwitzt und abgekämpft, aber voller Leben und Freude. Wie sehr Völler den Fußball liebt, drückte sich unübersehbar in seiner Teilnahme am Spiel aus, in Leidenschaft und Purismus. Kein Blick aufs Tablet, kein Studium von taktischen Vordrucken, bloß analoges Mitfiebern.
Der Verzicht auf elektronische Hilfsmittel muss deswegen kein Einstellungskriterium für den nächsten Chefcoach sein, aber Völler hat bei seiner knappen Visite auf der Trainerbank durchaus ein paar Maßstäbe für den Nachfolger gesetzt.
Philipp Selldorf, sueddeutsche.de, 13.09.2023 (online)
Kommentar verfassen