Am Tag nach der Premiere schrieb ich dem Regisseur einen Brief und verlangte, dass mein Name im Vorspann nicht genannt werden dürfe, denn mein Leben war anders als in „Das Leben der Anderen“ dargestellt.
Der Regisseur war überrascht und verwundert, erklärte mir, dass er lediglich in aller Öffentlichkeit seine Dankbarkeit hatte bekunden wollen. Meine Einwände gegen seinen Film akzeptierte er nicht, ein Melodram habe nicht allein der Wahrheit zu folgen, sondern vor allem den Gesetzen des Kinos.
Alles, was ich ihm ein paar Jahre zuvor erzählt hatte, war von ihm bunt durcheinandergemischt und dramatisch oder vielmehr sehr effektvoll melodramatisch neu zusammengesetzt worden. Im Kino sitzend hatte ich erstaunt auf mein Leben geschaut. So war es zwar nicht gewesen, aber so war es viel effektvoller. …
Denn zehn Jahre nach jener Filmpremiere erzählte mir ein Professor der Germanistik, er habe – aus welchen Gründen auch immer – meine Anti-Zensur- Rede von 1987 mit seinen Studenten besprochen. Die Studenten hätten ihn gefragt, wie viele Jahre Gefängnis der Autor dieses Textes wegen bekommen habe.
Der Professor erwiderte, der Autor sei nicht ins Gefängnis gekommen. Darauf meinten die Studenten, dann sei dieses Pamphlet erst nach 1989, also nach der Wende, geschrieben worden. Nein, erwiderte der Professor, er selbst habe bereits 1987 diese Rede gelesen. Das sei unmöglich, beharrten die Studenten, so könne es nicht gewesen sein, sie wüssten das ganz genau, weil sie ja den Film „Das Leben der Anderen“ gesehen hätten. Man sei, sagte der Professor zu mir, nach diesem Seminar in Unfrieden voneinander geschieden.
Christoph Hein: Gegenlauschangriff. Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschem Kriege. Suhrkamp, 2019, S. 103 ff.