Gerade in Kriegszeiten wird im Journalismus Storytelling betrieben. Höchst emotional, wirksam – und einseitig. […]
Hier aber geht es um politische und mediale Narrative als Inszenierungen. Damit ist nicht gemeint, dass das vermittelte Geschehen nicht den Tatsachen entspreche. Sondern dass typischerweise ein sehr persönliches Schicksal genutzt wird, um per Storytelling bestimmte deutliche Wirkungen zu erzielen. Durch Erzählen der „richtigen“ Geschichte. Einzelschicksal statt Einordnung. Große Nähe zu ausgewählten, oft realen Ereignissen statt sachlich-distanzierter Aufklärung. Story statt History. […]
So kann mediales Storytelling bestimmte übergreifende Narrative befördern oder ihnen entgegenwirken – z.B. „mehr Waffen“ für eine bestimmte Kriegspartei. Oder aber generell: „Die Waffen nieder!“ […]
Narrativität, also das strukturierte Erzählen von Geschichten, kommt in vielen Kommunikationen zum Einsatz: in Reportagen und Wahlkampfreden, in Balladen wie auch in Gute-Nacht-Geschichten. Storys sind sehr wirksam, bei vielen und ganz verschiedenen Leuten. […]
Wenn – wie typischerweise in Krisen- und Kriegszeiten – ganz besonders viele und zudem möglichst emotional aufwühlende Geschichten mit ähnlichen Gut-Böse-Konstellationen erzählt werden, dann verstärkt sich diese Parteilichkeit. Narrativität schlägt um in Narrativismus: Damit ist gemeint, dass sich das Storytelling verselbständigt. Wenn kritisch auf die entsprechenden Nachrichtenerzählungen und „Nachrichtenerzähler“ geschaut wird, lassen sich problematische Entwicklungen diskutieren, die zu tun haben mit Über-Vereinfachung, Hyper-Emotionalisierung und mit Parteilichkeit, die in zunehmende Einseitigkeit übergeht.
Sebastian Köhler, berliner-zeitung.de, 09.03.2024 (online)