Den Begriff „Künstliche Intelligenz“ prägte der Kognitions- und Computerwissenschaftler John McCarthy in den 1950er Jahren. McCarthy tat dies nicht, um die Eigenschaften der Systeme zu beschreiben, die er baute oder um sich herum beobachtete, sondern aus viel banaleren Gründen. In einem Interview räumte er ein, dass er „den Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ erfunden hat […], weil wir etwas tun mussten, als wir versuchten, im Jahr 1956 Geld für einen Sommer-Workshop zu bekommen.“ Er erhielt das Geld, und das Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence kam ins Rollen.
Diejenigen, die mit der akademischen Vergabe von Fördermitteln vertraut sind, werden McCarthys Bedürfnis nach einem Oberbegriff verstehen. Dieser Oberbegriff sollte rhetorisch die Arbeit derjenigen einschließen, die er zur Mitarbeit einladen wollte, und all jene ausschließen, die er nicht einladen wollte. Und er sollte gleichzeitig das Interesse von Geldgebern wecken. Und natürlich ist die Erfindung eines neuen Begriffs ein probates Mittel, um sein Revier abzustecken und zu verteidigen – ein weiteres akademisches Gebot.
McCarthy wollte nämlich Norbert Wiener nicht einladen, dessen Begriff „Kybernetik“ damals ein Großteil des Fachgebiets prägte. „Ich selbst“, sagte er einige Jahre später in einem Interview, „habe den Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ unter anderem deshalb erfunden, um der Assoziation mit ‚Kybernetik‘ zu entgehen. […] Ich wollte vermeiden, dass Norbert […] als Guru akzeptiert wird oder ich mich mit ihm auseinandersetzen muss.“
Wer ein Fachgebiet begründet und damit einen konzeptionellen Rahmen setzt, kann damit auch Geldmittel und Prestige sammeln. Wichtig ist auch, dass die Schöpfer des Feldes als Erfinder auftreten, nicht als dessen Weiterentwickler. Neuartigkeit ist in der Wissenschaft, wie auch anderswo, ein Fetisch. Meredith Whittaker, netzpolitik.org, 07.06.2023 (online)