Pierre Deason-Tomory: Als ich Anfang der Neunziger beim abwicklungsbedrohten Jugendradio DT 64 arbeitete, Features baute, irgendwann samstags die »Rasch-Hour« moderieren durfte und im Wechsel mit anderen einen hart linken satirischen Wochenrückblick produzierte, habe ich keine Politik gemacht. Der Job selbst war Politik, ein Rückzugsgefecht gegen die neuen Verhältnisse im Osten, hoffnungslos, aber schön wie ein Schlachtengemälde. Noch bevor DT gänzlich enthirnt wurde, ging ich 1993 freiwillig.
Auslöser war eine harmlose Nummer auf Kosten des korrupten CSU-Ministerpräsidenten Max Streibl. Ich hatte in seinem Statement „Ich bin nicht bestechlich. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht bestechlich bin“ beide Male das „nicht“ herausgeschnitten. Eine normale Übung in einer Satiresendung, aber der Wellenchef verdonnerte mich dazu, künftig die fertige Sendung zwei Tage vor Ausstrahlung zum Zensieren abzuliefern. Unannehmbar. Die Belegschaft war inzwischen des Kämpfens müde und nahm es hin, dass Jugendradio DT 64 in MDR Sputnik umbenannt werden sollte. […]
1995 kam ich zurück zum inzwischen glattgebügelten Nachfolger Sputnik, der nach Halle verpflanzt worden war. Ich war arbeitslos und brauchte Geld, und so habe ich dort eine Zeitlang die Frühsendung moderiert. Bis ich eines Morgens ein anzügliches Stück über Helmut Kohl im Clinch mit Antje Vollmer brachte und dafür wieder einbestellt wurde. Ich dürfe ab sofort immer erst nach neun Uhr senden, nachdem mein vollständiges Sendemanuskript geprüft und genehmigt worden sei, wie es bei Sputnik bei allen anderen Tages-DJs schon länger Pflicht war. Ich lehnte ab, schmiss im »Nö« eine Abschiedsfeier und fuhr zurück nach Berlin. Man muss sich das vorstellen: Beim »demokratischen« Nachfolger des DDR-Jugendsenders saß den ganzen Tag ein Controller hinter der dicken Scheibe und blökte dem DJ über die Kommandotaste Anweisungen zu! Als Frank Aischmann das erste Mal vor der Sendung sein Skript abgeben sollte, knallte er dem Controller ein ganzes Paket Druckerpapier auf den Tisch, auf jeder Seite stand nur ein Wort. Er ist wie alle mit Rückgrat bald gegangen. Pierre Deason-Tomory, junge-welt.de, 15.08.2023 (online)
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