Was ist passiert, dass den Sendern das Rückgrat abhandengekommen ist? Ich wage zu behaupten, dass ganz wenige Redakteur:innen heute noch über Dramaturgie, Qualität eines Filmes diskutieren können, sie sehen Programme als Produkte, als Ware. Ich will das Rad nicht zurückdrehen, wir leben inzwischen in einer digitalen Welt, es geht um andere Verbreitungswege, aber es geht um Programm, um Qualität, Glaubwürdigkeit, Einzigartigkeit und Innovation, egal ob gestreamt oder gesendet wird, heutige Redaktionen sind Experten in Zuschauerwanderung oder Zielgruppenbestimmung.
Mein Anliegen ist, bei der notwendigen Reform nicht nur an neue Wege zu denken, um das junge Publikum zu erreichen, sondern an Inhalte, an soliden, kreativen innovativen Content. Meine Überzeugung ist, dass dies nur mithilfe von wieder erstarkten Redaktionen möglich ist. Die Skandale rund um die öffentlichrechtlichen Sender haben offensichtlich gemacht, dass die internen Strukturen im System der Sender marode sind: Angst, Inkompetenz, mangelnde Transparenz, fehlende Kommunikation und undurchsichtige Hierarchiestrukturen haben zur Krise beigetragen. Das macht anfällig für falsche Entscheidungen und für Verschlafen aktueller Ereignisse. Daran krankt das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es wirkt manchmal verwunderlich, dass überhaupt noch neue Programme entstehen.
Wieso haben Redakteure Angst? Sie sind meist fest angestellt, werden ordentlich bezahlt, sie sind geschützt, denn es gibt einen Personalrat im Haus, eine Redakteursvertretung, ihre Rente ist sicher. Sie haben viele Privilegien, wie Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt et cetera. Dennoch geht eine Angst in vielen Anstalten um. Wenn zwei Kollegen sich über einen Missstand austauschen wollen, verziehen sie sich vors Haus und schauen hinter sich, bevor sie offen miteinander sprechen.
Es hat sich ein System von Günstlingen breit gemacht, man gehört dazu oder nicht, es gibt Cliquen um Hierarchen, wenn man da nicht dazu zählt, wird man unsichtbar, gläsern, keiner hört einem zu, wenn man auf Konferenzen etwas sagt. Es ist einschüchternd, verletzend, wenn man so übergangen wird. Kolleg:innen bekommen das Stigma, schwierig zu sein, werden ausgegrenzt.
Kurz: Man stirbt den sozialen Tod.
Sabine Rollberg, epd 20/2023