Zwar betonte Ellen Ehni, Chefredakteurin des WDR Fernsehens, am 24. Januar gegenüber dem Online-Portal „Meedia“, es gebe „keine Parallele zwischen Relotius und diesem Fall“. Was in einer Hinsicht stimmt: Die Autorin hat nichts gefälscht – aber sehr wohl Inhalte verfälscht. Wie bei Relotius sollte man auch hier allemal darüber diskutieren, was die enthüllten Einzelfälle über das System aussagen. Wenn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Ausgabe vom 22.1.2019) über die Nutzung der Plattform komparse.de bei der Produktion von „Ehe aus Vernunft“ schreibt: „Die Journalistin hatte nach vergeblicher Recherche eine Annonce geschrieben“, dann stellt sich beispielsweise die Frage: Welchen Anteil hat der WDR an dem Druck, dem sich die Autorin offenbar ausgesetzt fühlte? Generell gilt: „Wenn Redaktionen sich quotenbringende Themen ausdenken und dann Protagonisten suchen, die zur Geschichte passen, verschwimmen Erwartungen und Realität“, schreibt Kathrin Hollmer in der „Süddeutschen Zeitung“ (Ausgabe vom 25.1.2019).
Es gilt also, die Strickmuster in Frage zu stellen, die die Redaktion von „Menschen hautnah“ von den Autoren erwartet. Im Kern geht es um ein zumindest ähnliches Problem wie beim Fall Relotius: Weil am Schreibtisch oder in Redaktionskonferenzen erdachte „gute Geschichten“ sich als in der geplanten Form nicht umsetzbar erwiesen, wurde nachgeholfen. Das mag die inkriminierte, mittlerweile geschasste WDR-Autorin in viel kleinerem Maßstab getan haben als Claas Relotius. Abhilfe schaffen kann da aber nur eine neue Herangehensweise an Themen, aber Selbstkritik, die auf ein diesbezügliches Umdenken hindeutet, war vom WDR bisher leider nicht zu vernehmen.
René Martens, Medienkorrespondenz, 03.02.2019 (online)