Lisa Gotto und Dominik Graf haben das Buch „Kino unter Druck“ geschrieben, über den Zusammenhang von Ideologie, Geld und Zensur. Dieses Buch ist Erinnerungsarbeit, ein Versuch, Vergessenes und Verdrängtes zurückzuholen – fast ein halbes Jahrhundert Filmgeschichte des einst sozialistischen Osteuropa. …. Die Filme sind liebevoll beschrieben, mit sachtem Enthusiasmus, Filme, die einst zum Kanon des modernen Kinos gehörten, sie liefen auf den internationalen Festivals, wo ihre ästhetische Frische faszinierte, und wurden bei uns in ARD und ZDF gezeigt. …. „Unser Kino“, sagt Andrzej Wajda, „war in den Zeiten des Kommunismus ein Versuch der Kommunikation mit dem Publikum über die Köpfe der Machthaber hinweg … Die Zensur jagt die Worte, aber das Kino spricht mit Bildern.“ Und natürlich konnte Provokantes toleriert werden, wenn es sich auf den Festivals in internationalem Erfolg auszahlte.
Ein Film wie Tarkowskis legendärer „Andrej Rubljow“ wurde verboten, aber: er konnte gedreht werden, erklärt Regisseur Andrej Kontschalowski, in Hollywood hätte es gar kein Geld dafür gegeben – Zensur durch Geld wirke stärker als Zensur durch Ideologie. Dominik Graf formuliert das für die deutsche Produktionswirklichkeit, die er aus zahlreichen Debatten und Kämpfen sehr gut kennt. „Wajda traute dem Publikum etwas zu. Unsere Gremien-Förder-Kinokultur basiert darauf, dem Publikum wenig zuzutrauen, es bloß nicht zu überfordern. Kinematographische Vielstimmigkeiten von Sequenzen gelten (auch dem Publikum) als verwirrend: Ambivalenzen, Uneindeutigkeiten auch in privaten Konstellationen, z. B. in Gender-Problemen der Filme, werden den Machern sogar gefährlich. Das Publikum ist selbst zum Zensor geworden, es ist konditioniert auf ein Kino der Eindeutigkeit. Es ,cancelt‘, was ihm nicht sofort einsichtig scheint.“ Eine Spirale der internalisierten (Selbst-)Zensur.
Fritz Göttler, sueddeutsche.de, 21.07.2021 (online)