Viele DDR-Journalist*innen hatten bereits im Herbst 1989 mit Verve selbst begonnen, ihre Funktionärsrollen abzustreifen. Viele DDR-Medienhäuser reformierten sich in diesen Monaten mit hoher Geschwindigkeit und großem Reformwillen aus sich selbst heraus:
- linientreue Chefredaktionen waren bis Anfang 1990 ausgetauscht worden,
- neue Chefredakteure wurden von den Belegschaften demokratisch an die Spitze gewählt,
- etliche Zeitungen benannten sich um und erschienen unter neuem Namen,
- neue, jüngere Redakteur*innen kamen schnell als Seiteneinsteiger*innen in die Redaktionen. …
Die Politik der Kohl-Regierung und die Politik der Treuhand zementierten damit in weiten Teilen Ostdeutschlands Strukturen von Ein-Zeitungs-Kreisen. In der alten Bundesrepublik hatten zu den zentralen Zielen der Pressepolitik stets die Bewahrung von Zeitungsvielfalt, insbesondere im Lokalen, und die Gewährleistung wettbewerbsneutraler Pressegroßhandelsstrukturen gehört. In den neuen Bundesländern hatte man diese Ziele fallen lassen. Bundeskanzler Kohl, Bundesinnenminister Schäuble und sein Staatssekretär Waffenschmidt sprachen sich zwar im Vereinigungsprozess noch „für eine mit dem alten Bundesgebiet kompatible, vielfältige, dezentralisierte ostdeutsche Printmedienlandschaft aus.“ Doch das blieben Sonntagsreden. Denn „weder bei der Formulierung der Treuhandanstalt-Vergabekriterien im Pressebereich, noch angesichts des großen ostdeutschen Zeitungssterbens seit 1991 war eine Strategie erkennbar, diesen als medien- und wettbewerbspolitisch negativ erkannten und als solche dokumentierten Entwicklungen aktiv zu begegnen. Vielmehr vertrauten die Medienpolitiker der konservativ-liberalen Bundesregierung auf die Kräfte des Marktes und beschränkten sich auf symbolische Politik, indem sie in Bezug auf Pressevielfalt und Meinungsfreiheit an die Verantwortung der Verleger appellierten“, fasst Kapitza zusammen
1989/90 hatten sich die DDR-Bürger*innen so gut wie aller Milieus in einem historischen Selbstermächtigungsprozess selbstbewusst und weitgehend friedlich demokratisiert. Durch den gewählten Vereinigungsprozess und die Übernahme des Ostens durch die Bundesrepublik wurde dieser Prozess gelähmt. Intellektuelle und akademische Selbstverständigung gerieten im Osten zu einem schwierigen Unterfangen, auch weil Ostdeutsche unzureichend in Massenmedien repräsentiert wurden. In bundesweiten massenmedialen Diskursen blieben Ostdeutsche ebenso zu lange Objekte von Berichterstattung wie sie in den Elite-Netzwerken der Bundesrepublik bis heute Außenseiter blieben.
Lutz Mükke: 30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung. Otto-Brenner-Stiftung, Februar 2021 (pdf)