European Newspaper Congress 2010

Wien, 25. bis 27.04.2010

 

Der prunkvolle Festsaal des Wiener Rathauses wurde erneut zum Schauplatz für den internationalen Branchentreff der Zeitungsmacher. Auf Einladung des Österreichischen Oberauer-Verlages versammeln sie sich jedes Jahr auf dem Europäischen Zeitungskongress, um sich gegenseitig zu inspirieren. Doch seit ungefähr drei Jahren geht es nicht allein um die gute Inspiration, sondern auch um Überlebensstrategien, ganz konkret um die Frage mit welchen Geschäftsmodellen Verlage das digitale Zeitalter bestreiten wollen.

 

Die Auflagen der Tageszeitungen sinken, bis auf wenige Ausnahmen, in Europa seit einigen Jahren kontinuierlich. Zudem leiden Printprodukte unter massiven Anzeigenverlusten. Das Gros des Werbevolumens wandert zunehmend ins Internet ab, jedoch nicht zu den Online-Seiten der Zeitungen und Zeitschriften, sondern zu Suchmaschinen wie Google und anderen Portalen.

 

Und so erfuhr man in Wien auch, dass Aldi, derzeit noch Deutschlands größter Anzeigenkunde von Tageszeitungen, gerade seine Werbestrategie auf den Prüfstein stellt und herausfinden möchte, ob seine Anzeigen nicht auch besser im Internet aufgehoben sind.

 

 

So war es nicht verwunderlich, dass als Einleitung zum diesjährigen Europäischen Zeitungskongress genau diese Frage gestellt wurde: „Wie bleibt Journalismus finanzierbar?“ Den Auftakt machte dazu Florian Treiß, stellvertretender Chefredakteur des Mediendienstes Turi2, mit einem Impulsreferat über verschiedene Finanzierungsmodelle im Internet. Im Anschluss daran trat Romanus Otte, Geschäftführer von Welt-Online, auf die Bühne. Es helfe nichts, wenn man jetzt den Kopf hängen lasse. „Wir sind in einer Übergangszeit mit Chancen und Risiken“. Dann gab er Einblicke in die Experimentierfelder seines Verlages, im Netz Geld zu verdienen.

 

 

So versucht der Axel-Springer-Verlag mit der „Berliner Morgenpost“ und dem „Hamburger Abendblatt“ im Internet seit kurzem nach dem „Freemium-Modell“ durch Online-Abos Einnahmen zu erzielen. Weitere Hoffnungsträger sind die so genannten „Apps“, kostenpflichtige Zusatzprogramme für Smartphones, mit denen Nutzer Zeitungen bespielsweise auf ihrem IPhone lesen können. 2,99 Euro kostet die „Welt“ per App für einen Monat. Wer die Bildzeitung für einen Monat auf seinem IPhone lesen will, zahlt 1,59 Euro. Dass man den Kundenkontakt verliere, sei das größte Problem bei Apple’s I-Phone oder demnächst auch beim I-Pad sowie bei Amazon’s elektronischem Lesegerät Kindle. Die Zahlungen laufen nämlich über die Abrechnungssysteme der Gerätehersteller, die zudem noch einen großen Anteil der Einnahmen für sich einbehalten, so Otte. Neben der Monetarisierung ihrer digitalen Inhalte versucht der Axel-Springer-Verlag, wie inzwischen fast alle anderen Verlage auch, Journalismus durch Nebengeschäfte zu finanzieren, darunter Online-Datingseiten, Onlineshops, Reiseportale, Buchreihen oder Konferenzen.

Zahlen, an denen sich der Erfolg der neuen Geschäftsmodelle ablesen liesse, wollte Romanus Otte zu diesem Zeitpunkt noch nicht nennen. Für diese Übergangsphase gelte vor allem ein Grundsatz: „Fail early, fail often, fail cheap.“

Gesamte Rede von Romanus Otte zum Nachhören:

{accesstext mode=“level“ level=“author“} Um die Audio und Videodateien des Artikels abspielen zu können, müssen Sie sich anmelden. || >{mp3}Romanus_Otte_Dimbb_96{/mp3}< {/accesstext}

 

Doch natürlich gab es auch etwas zu feiern: Die besten und innovativsten Zeitungen des europäischen Kontinents. Ausgezeichnet wurden die vor einem Jahr gegründete portugiesische Tageszeitung „i informacao“ als beste überregionale Zeitung, die gerade umstrukturierte „Stuttgarter Zeitung“ als beste Regionalzeitung und die südschwedische „Smålandsposten“ in der Kategorie beste Lokalzeitung. „Wir wollten alles wegwerfen, was in herkömmlichen Zeitungen nicht funktioniert und eine neue Zeitung bauen“, sagte Nick Mrozowski, Art-Director bei „i informacao“.

 

 

Das Konzept der „i informacao“ ist innovativ: Ressortgrenzen gibt es nicht und so erhält der Leser auf den ersten Seiten einen so genannten „Radar“, einen Überblick mit den wichtigsten Nachrichten aus allen Ressorts. Auf den weiteren Seiten finden sich unter dem Titel „Zoom“ Tiefgründiges, Reportagen, Analysen und Essays.

 

Die Zeitung möchte alles andere als langweilig daher kommen, und so werden anstelle von Fotos auch gerne Illustrationen verwendet, bei Politkern auch gerne gezeichnete Comics. „i informacao“ widersetzt sich alllen Regeln, schon allein deshalb, weil sie vor einem Jahr inmitten einer Medienkrise gegründet wurde. Kurzfristig scheint das Konzept aufzugehen. Nach eigenen Angaben haben ein Viertel der Leser vor der „i“ gar keine Tageszeitung gelesen. „In fünf Jahren möchten wir den Break Even erreicht haben“. Chefredakteur Andre Macedo Optimismus versprühte vor seinen europäischen Kollegen reinen Optimismus. Notgedrungen, denn nach fünf Jahren endet die Finanzierungshilfe des Sponsors von „i informacao“ – und wenn das Unternehmen bis dahin keine schwarzen Zahlen schreibt, wird diese Zeitung trotz innovativem Konzept ein Verlustgeschäft.

 

Fazit:

Wissenswert: ****
Unterhaltungswert: ***
Kontaktwert: ****
Ambiente: *****

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