20. April 2010
„Notleidend: Risiken und Nebenwirkungen des Wirtschaftsjournalismus in Deutschland“, darum ging es diesmal beim MainzerMedienDisput in Berlin zu dem sowohl Wirtschaftsjournalisten als deren Kritiker eingeladen waren. Foto: rechts außen: Tom Schimmeck, Autor des gerade erschienen Buches: „Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache“; Wolfgang Storz (2. von rechts), Publizist und Autor; Inge Kloepfe (3. von rechts), Wirtschaftskorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung; Thomas Leif (Mitte), Moderator; Martin Romanczyk (2. von links), dpa – Ressortleiter Wirtschaft und Politik International und Andreas Werner (links außen), CVD der ARD-Tagesschau.
Aufhänger der Diskussion war die Studie der Otto Brenner Stiftung: „Wirtschaftsjournalismus in der Krise.“ Der Autor dieser Studie Wolfgang Storz bescheinigte den reichenweitenstärksten deutschen Medien ein Versagen. Er unterschied drei Phasen dieses „Versagens“: Bis 2006 hätten nach Ergebnissen der Studie Wirtschaftsjournalisten der reichenweitenstärksten deutschen Medien die Umwandlung des Bankensystems in Deutschland in eine Finanzindustrie, die mit hochspekulativen Produkten arbeitet und damit die Rolle des ehemals reinen Dienstleisters für die Realwirtschaft verlassen hat, nicht kritisch begleitet. Sie habe nicht über Risiken und Nebenwirkungen dieser neuen Finanzwelt berichtet und habe damit als Frühwarnsystem nicht funktioniert. Auch mit Ausbruch der Krise im Sommer 2007 und der Intervention der EZB gab es nur eine Routineberichterstattung. Journalisten hätten sich lediglich darauf beschänkt, die Thesen der Chefvolkswirte und anderer Experten wiederzugeben, die behaupteten, die Krise habe keine Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Aufgewacht seien die überregionalen Medien erst im September 2008 mit dem Untergang von Lehmann Brothers. Erst da hätten sie angefangen, das gesamte Finanzsystem zu hinterfragen. Das war leider etwas zu spät, so Storz.
An die DPA richtete Storz auf Nachfragen von Thomas Leif folgende Kritikpunkte:
– enge Perspektive
– volle Wiedergabe von Bankern und Chefvolkswirten als unabhängige Experten, obwohl diese Interessenvertreter sind
– Kritiker dieser Finanzmarktpolitik kamen nur am Rande zu Wort
– eine unverständliche Sprache
Insgesamt war die Kritik ein harter Brocken für DPA-Ressortleiter Martin Romanczyk, der sich daraufhin verteidigen durfte. Er nehme diese Kritik diesmal nicht als Geschenk an, denn die Anklagen seien falsch. Die Studie habe sich bei der Analyse auf nur einen kleinen Teil der DPA-Berichterstatttung beschränkt. Eingeständnisse machte Romanczyk lediglich bei der unverständlichen Sprache und dem Darstellen komplexer Zusammenhänge, zu denen Finanzthemen nun mal auch gehören. Er sehe ein: „dass in so einer Situation enorm viel Material produziert wurde und wir bei der Aufbereitung dieses Materials noch zulegen können.“
Noch schärfer fiel die Kritik der Studie gegenüber der Berichterstattung der Tagesschau aus. „Setzen Sechs“ lautete die Beurteilung. Bei jeder Schweinegrippe würde sofort ein ARD-Brennpunkt gemacht, nur bei der Finanzkrise zögerte man sehr lange. Mit Gegenkritik, die Studie sei zu allgemein, konterte dagegen Andreas Werner von der Tagesschau. Sein Argument lautete, die Tageschau habe nicht die Aufgabe investigativ zu sein. Ihre Aufgabe bestünde darin, die Debatte in der Öffentlichkeit um die Wirtschafts- und Finanzkrise so abzubilden wie sie dort geführt wird mit denjenigen Politikern und Wirtschaftsexperten zu sprechen, die dazu etwas zu sagen haben. Es fehlte ein Frühwarnsystem für das Mediensystem, nämlich der parteipolitische Streit und die Rolle der Gewerkschaften, verteidigte sich Werner. Verbesserungspotential sehe er bei der Tagesschau darin, Ressourcen besser auf Brennpunktthemen zu konzentrieren.
Die größten Eingeständnisse machte die FAS-Wirtschaftsjournalistin Inge Kloepfe: „Wie weit können wir uns vom Mainstream abkoppeln und eine abweichende Meinung einnehmen?“, diese Frage habe die Studie bei ihr angeregt. Ihre Äußerung war zugleich eine Steilvorlage für Tom Schimmeck, Autor des Buches „Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache“. Aus seiner Sicht führte die Ideologiegetriebenheit zum Neoliberalismus zu einer Verengung des Blickwinkels der Journalisten und zu deren Versagen als Frühwarnsystem. Seit den 90iger Jahren habe es nur den einen herrschenden Glauben des US-Notenbankchefs Alan Greenspan gegeben, dem Journalisten in Scharen unkritisch gefolgt seien und dessen Thesen sei tagtäglich repetierten ohne sie zu hinterfragen.
Insgesamt beinhaltete die Diskussion eine Menge „Zündstoff“, in der Akteure und Kritiker – wie selten auf Podiumsdiskussionen- direkt aufeinander zu konkreten Punkten Bezug nahmen. Es war auch sehr spannend mit anzuhören, in wie weit die „angeklagten“ Journalisten Selbstkritik äußerten. Nicht alle waren dazu an diesem Abend bereit und wenn dann verhüllten sie diese in eher allgemeine Formulierungen.
Die Studie kann im Netz unter www.otto-brenner-stiftung.de bestellt werden. TeilnehmerInnen des MainzerMedienDisputs erhielten an dem Abend ein kostenloses Exemplar.
Gesamte Veranstaltung zum Nachhören:
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Fazit:
Wissenswert: *****
Unterhaltungswert: ****
Kontaktwert: ***
Ambiente: ***