Parteiischer NDR?

Das im NDR geplante Fernseh-Duell vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September sorgt für Verärgerung. Denn es soll nur zwischen den Spitzenkandidaten von SPD und CDU stattfinden. „Linke-Landeschef Steffen Bockhahn nannte die Entscheidung des NDR, nur Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und Innenminister Lorenz Caffier (CDU) einzuladen, nicht nachvollziehbar“, vermeldete die Ostseezeitung am 18. Juni.

„Woher kann der NDR wissen, wer eine Chance hat Ministerpräsident zu werden? Werden Wahlen in Zukunft durch die Medien entschieden? Herr Caffier hat doch nicht mehr aufzubieten als Herr Holter. Beide waren bisher stellvertretende Ministerpräsidenten und Beide haben ihre Verdienste um unser Land vorzuweisen“, so ein Leser der Zeitung dazu. Ein anderer kritisierte, dass der NDR „mit dieser Entscheidung nicht zu einer fairen und gleichberechtigten Landtags-Wahl“ beiträgt und stellt fest: „Natürlich verteidigen Sellering, der seinen Vorsprung weiter ausbauen möchte, und Caffier, der aufholen könnte, aus einem Eigen-Interesse heraus dieses NDR-Diktat.“

NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz erklärte gegenüber der Ostseezeitung, dass „entscheidend sei, wer neben dem amtierenden Ministerpräsidenten eine Chance besitze, in dieses Amt gewählt zu werden.“ Dies habe man inhaltlich und juristisch geprüft.

Nun, wenn sich der NDR auf seine Umfragen und die sich daraus ergebenden Chancen, Ministerpräsident zu werden, beruft, dann sollte er diese im Ganzen berücksichtigen. Sicher, derzeit geben weniger Menschen an, die LINKE wählen zu wollen. Doch interessant ist, dass mehr Wählerinnen und Wähler Helmut Holter (18%) als Lorenz Caffier (15%) als Ministerpräsident direkt wählen würden (Folie 6 und 7). Und dies, obwohl die CDU (27%) mehr Wählerinnen und Wähler als die LINKE (20%) haben soll.

Ein Blick in den NDR-Staatsvertrag klärt die Sache auf. In dessen Paragraph 8 heißt es zur Programmgestaltung:

„(1) Der NDR ist in seinem Programm zur Wahrheit verpflichtet. Er hat sicherzustellen, dass

1. die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen aus dem Sendegebiet im Programm angemessen zu Wort kommen können,

2. das Programm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient und

3. in seiner Berichterstattung die Auffassungen der wesentlich betroffenen Personen, Gruppen oder Stellen angemessen und fair berücksichtigt werden. Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness und in ihrer Gesamtheit der Vielfalt der Meinungen zu entsprechen.

Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsbildung der Bürger und Bürgerinnen beizutragen.“

 

Und so kann man feststellen:

Wenn es nur ein Duell der Spitzenkandidaten der beiden Regierungsparteien gibt, dann dient das Programm in diesem Fall nur einer Gruppe: den Regierungsparteien. (Dies ist ein Verstoß gegen den Staatsvertrag.)

Wenn es beim NDR heißen sollte, dass Helmut Holter laut Umfragen keine Chance hat, Ministerpräsident zu werden und deshalb nicht zum Spitzenduell eingeladen wird, so gilt dies auch für Lorenz Caffier. (Oder geht man davon aus, dass die CDU auch mit der LINKEN koalieren würde?)

Man kann sich nach den Erfahrungen der letzten Monate nicht auf Umfragen berufen. Dies dient nur dazu, von den eigenen Ansprüchen und Interessen abzulenken. Die Steigerungen der Grünen waren durch nichts vorauszusehen, genauso wenig wie der Zugewinn der damaligen PDS zur Landtagswahl in Brandenburg 2004, als man plötzlich durch die Hartz-IV-Debatte in Umfragen vor SPD und CDU lag. (Der SWR hat sich in diesem Jahr auch unter Verweis auf Umfragen sowie die parlamentarische Stärke geweigert, Winfried Kretschmann zum Fernsehduell einzuladen.)

Und so stehen folgende Fragen, wenn es darum gehen sollte, dem Auftrag des NDR-Staatsvertrags gerecht zu werden:

Wie werden neben den Regierungsparteien die anderen Gruppen angemessen und fair berücksichtigt, wenn es ein Fernseh-Duell der Spitzenkandidaten der beiden Regierungsparteien gibt? Welche zusätzlichen Sendungen sind für andere (wesentliche) politische Gruppierungen geplant? Wie soll insbesondere die LINKE angemessen berücksichtigt werden, die in ihren Umfrageergebnissen näher an SPD und CDU als bei Grünen, FDP und anderen Parteien liegt? Konkret: Wie wird der LINKEN „angemessen“ journalistisch Raum gegeben, unabhängig von SPD und CDU, die zusätzlich ein Fernsehduell nutzen können, und unabhängig von FDP, Grünen und anderen, die wesentlich „schlechter“ in den Umfragen liegen bzw. im Parlament vertreten sind?

Wie gleicht der NDR also in seiner Wahlberichterstattung den medialen Vorteil eines Fernsehduells aus, um so dem Ziel des NDR-Staatsvertrages gerecht zu werden, „umfassend zu unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsfindung“ beizutragen?

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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