Überdeckt Gewaltberichterstattung immer die Inhalte?

„Die Gipfelkonzeption ist zu einem Exzess von Sicherheitswahn und Exklusivität verkommen. Die gewaltfreie Kritik am Bestehenden, die Debatten über Wege in eine bessere Welt brauchen mehr Raum, auch in den Medien. Davon lebt Demokratie. Sie muss friedlichen Protest fördern. Globalisierungskritiker verdienen eine Gegenöffentlichkeit, solange sie keine Waffe in die Hand nehmen. Nicht weil sie per se Recht haben, sondern weil sie eine wichtige Stimme im demokratischen Streit sind. Wie fatal, dass sie nun zwischen staatlicher Terrorangst und autonomer Militanz kaum Gehör finden“, so Jan Thomsen am Sonnabend in der Berliner Zeitung (08.07.2017, online)

Mehr als eine Woche zuvor stellte Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung eine Studie vor, in der er mit dem Sozialwissenschaftler Moritz Sommer unter der Mitarbeit des Berliner Soziologen Dieter Rucht untersucht hatte, wie in den letzten 15 Jahren von sieben Großdemonstrationen berichtet wurde. So stellte er fest: „Ob ein Protest als Chance auf Veränderung oder als Bedrohung wahrgenommen, hängt stark davon ab, in welchem Medium man sich informiert.“ Medien wie „Taz“ oder die „Frankfurter Rundschau“ berichteten eher „empathisch“ über Proteste, solange diese keine antiliberalen Inhalte vertreten. Konservative Medien wiesen die Proteste dagegen tendenziell als „antidemokratische Inszenierungen“ zurück. Öffentlich-rechtliche Medien versuchten einen Mittelweg zu gehen. In einigen Deutungen gebe es das Bild des Protestes als eine „leicht naive Form des Aktivismus, der von einer (linken) Minderheit artikuliert werde und wenig bedeutsam sei“, zitiert Sebastian Bähr am 30. Juni im Neuen Deutschland aus der Studie. „Journalisten fixieren sich auf Gewaltdarstellungen: Der G20-Gipfel in Hamburg hat noch nicht begonnen, aber die Medien laufen schon über. Welchen Gesetzen die mediale Berichterstattung bei solch großen Protesten folgt, das hat das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung ermittelt“, berichtet am 4.07. Mediasres, das Medienmagazin des Deutschlandfunks. Markus Ehrenberg und Dietmar Huber zitieren am 07.07. im Tagesspiegel über die Studie. „Liberale Medien beurteilen Proteste Teune zufolge positiver als konservative Medien. ‚In liberalen Zeitungen ‚kommen die Protestierenden häufiger selbst zu Wort.‘ Konservative Medien berichteten distanziert über Proteste. ‚Sie sehen Demonstrationen eher skeptisch und betonen die Gefahren.‘ Wer Protest als legitim ansehe, dem liege eher daran, Hintergründe verstehbar zu machen.“

Michael Hanfeld kritisiert am 09.07., also nach dem Höhepunkt der Hamburger Auseinandersetzungen, auf faz.net eine „fatale Gleichsetzung mit den Marodeuren. Sollte es nicht auch für eine ‚wissenschaftliche‘ Betrachtung selbstverständlich sein, dass die Polizei zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und zum Schutz der Bürger von vornherein ‚das Sagen hat‘, Gewalttäter aber nicht? Der ‚Schwarze Block‘ steht für Zerstörung um der Zerstörung willen.“

Das alle Seiten einen Medienstrategie verfolgen, berichtete ZAPP am 5.07. und begleitete dafür die Kampagnenmacher und Gegner eine Woche lang. „Beim G8-Gipfel in Genf hatte die Stadt eine interessante Idee. Neben allgegenwärtigen Vertretern eines internationalen Juristen-Teams, waren alle lokalen Parlamentarier als Prozessbeobachter überall in der Stadt präsent. Das wirkte vertrauensbildend und deeskalierend. So wurde das Engagement der lokalen Politik für die Veranstaltung für jeden sichtbar: Genf ist für den Gipfel und den Protest in Form der gewählten Vertreter eingestanden – körperlich sozusagen. Beim G8-Gipfel in Genf hatte die Stadt eine interessante Idee. Neben allgegenwärtigen Vertretern eines internationalen Juristen-Teams, waren alle lokalen Parlamentarier als Prozessbeobachter überall in der Stadt präsent. Das wirkte vertrauensbildend und deeskalierend. So wurde das Engagement der lokalen Politik für die Veranstaltung für jeden sichtbar: Genf ist für den Gipfel und den Protest in Form der gewählten Vertreter eingestanden – körperlich sozusagen. …

Was auch das Ziel mancher Medien und der Innenbehörde sein mag, mit ihrer Panik-Strategie werden sie Gewalt eher schüren als verhindern. Und sie fordert einen hohen Preis: Wir haben nun einen Diskurs, der von politischen Inhalten weitgehend entleert ist“, so der Theaterregisseur Matthias von Hartz am 5.07. auf SpOn.

Offensichtlich haben die Studienmacher medial bei der Veröffentlichung alles richtig gemacht: So breit wäre fern eines Gipfels nicht über ihre Studie berichtet worden. In der Art und Weise ihrer Berichterstattung entsprechen die einzelnen Medien auch den Ergebnissen der Studie.

 

Studie zum Download (pdf)

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Zitat der Woche
Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)