Bleibt angesichts dieser untragbaren Situation die Frage: Wo ist eigentlich der Staat? … Zwei Vorhaben könnten einen Beitrag dazu leisten, jedenfalls etwas Abhilfe zu schaffen. Das erste ist die sehnlich erwartete und seit langem eingeforderte Veränderung der sogenannten „Verhaltensgrundsätze“ zwischen Presse und Polizei. Das zweite ist ein Vorstoß der hessischen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann, Gesetze nachzuschärfen. Nicht mehr nur Gewalt und Beleidigung, sondern ausdrücklich auch die „Störung der Tätigkeit der Presse“ unter Strafe zu stellen: mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe. … Kühne-Hörmann begründete den Vorstoß so: Sprechchöre oder Trillerpfeifen, um Interviews zu verhindern, blieben ebenso häufig straflos, wie Fahnen und Transparente vor eine Kamera zu halten. Auch die gewaltfreie Blockade von Autos mit Berichterstattern bliebe ohne Ahndung. Notwendig sei aber auch, „gewaltlose Störungen“ unter Strafe zu stellen, gleichsam als Anerkennung des Staates, welche herausragende Rolle die Pressefreiheit spielt. Immerhin kennt das Gesetz bereits Strafen für die Störung der Religionsausübung, der freien Versammlung oder der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans.
Georg Mascolo, sueddeutsche.de, 31.01.2022 (online)