„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss noch deutlicher als bisher ein Angebot für ALLE sein.“ So der Intendant von Radio Bremen, Jan Metzger, in einer Rede auf einer Medienkonferenz der Gewerkschaftsorganisationen DBB Beamtenbund und Tarifunion am 1. September 2011. In dieser Rede machte er deutlich, dass es nicht das wesentliche Problem der Sender sei, dass Politiker versuchten, auf sie Einfluss zu nehmen. Vielmehr konstatierte er eine kulturelle und soziale Nähe der Sender wie auch der Journalisten allgemein zur Politik. Zudem stellte er fest, dass die Sender immer größere Gruppen der Bevölkerung nicht erreichen würden.
„Wir Journalisten sind durch Herkunft, Bildung, Werte, Verhalten, Gestus ein Teil der öffentlich wahrnehmbaren gesellschaftlichen Eliten. Wenn wir dann noch durch die Form unserer Berichterstattung zum Beispiel vom „Planeten Bundeshauptstadt“ die Trennschärfe zwischen den unterschiedlichen Rollen aufgeben – hier die politisch Handelnden, dort die unabhängigen Berichterstatter – und wenn stattdessen Expertenkungelei (häufig) und politische Kumpanei (manchmal) durch die Berichte schimmert – dann sind wir verwechselbar mit den Politikern und tragen, so meine Überzeugung, zur allgemeinen Politikverdrossenheit aktiv bei. „Die da oben …“ Denn machen wir uns nichts vor: Die Parteien repräsentieren – ähnlich wie andere große Organisationen – in immer geringerem Maße die Gesamtheit der Gesellschaft. Fest untergehakt geht es uns wie ihnen: Immer größere Teile der Gesellschaft erreichen wir nicht mehr.“
Er stellt fest: „Um zukunftsfähig zu sein, muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Auftrag in Bezug auf das Thema „gesellschaftliche Integration“ neu bestimmen. Im Stadtstaat Bremen hat heute mehr als die Hälfte aller Erstklässler einen Migrationshintergrund.
Ihre Eltern erreichen wir kaum, ihre älteren Geschwister erreichen wir kaum – und mit ihnen wird es uns nicht anders ergehen, wenn wir uns nicht verändern. Etwas Ähnliches gilt für die sogenannten „bildungsfernen“ Schichten: Wir sehen und wir beschreiben die Welt mit dem Blick der Bildungsbürger. Das schließt viele aus. Und schließlich die Jungen: Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Schwierigkeiten hat, junge Menschen anzusprechen, hat sich herumgesprochen
Und er fordert: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss noch deutlicher als bisher ein Angebot für ALLE sein. Unsere Programme müssen stärker als bisher die Augenhöhe mit unserem Publikum suchen. Anstatt mit den Politikern, Wirtschaftsführern, Experten die Augenhöhe zu suchen, müssen wir diesen die Fragen unseres Publikums stellen.
Dazu müssen wir lernen, den Leuten zunächst einmal zuzuhören. Wir sind es bisher gewohnt, zu senden: Einer spricht, nämlich wir, viele hören zu, nämlich die Anderen. Wir müssen unsere 180-Grad-Perspektive, die wir als Broadcaster gelernt haben, zu einer 360-Grad-Perspektive erweitern. Wir brauchen in Zeiten von Internet und Facebook einen systematischen Dialog mit unserem Publikum. Das Internet – die neue Verbreitungs- und Kommunikationsplattform – wird diesen Paradigmenwechsel sowieso erzwingen, denn dort gibt es keine Einbahnstraßen mehr.
Wir müssen ihn aufnehmen und unsere Programme so erweitern und umbauen, dass wir Teil der Kommunikationszusammenhänge – vor allem der Jüngeren – werden.
Und wir müssen in unseren Häusern eine andere Personalpolitik machen – indem wir darauf achten, dass unsere Belegschaften allmählich so divers werden, wie unsere Gesellschaft es schon längst geworden ist. Das ist ein schwieriges und vor allem langfristiges Vorhaben. Es fängt bei der Auswahl unseres Nachwuchses an und geht bis zur Frage, wie wir unsere Führungskräfte entwickeln. Parteibücher, glauben Sie mir, spielen überhaupt keine Rolle mehr, wenn wir die Fähigkeit suchen, mit abgelegenen Teilen der Gesellschaft zu kommunizieren.
Schließlich muss die Zusammensetzung unserer Aufsichtsgremien überdacht werden: Die Parteien wirken am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess mit – und sind insofern ein natürlicher Teil unserer Aufsichtsgremien. Sie sollten sie aber nicht dominieren. Wir brauchen Gremien, welche die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit besser widerspiegeln.
Hier liegen also aus meiner Sicht in den kommenden Jahren unsere Herausforderungen.
Vom Gesetzgeber brauchen wir dafür die Freiheit zur Weiterentwicklung – unseres Auftrags, unserer Programme, unserer Gremien. Von der Politik müssen wir uns wünschen, dass sie ihre kleinteiligen Kämpfe um Einflusszonen einstellt – sie kämpft hier sowieso auf den Feldern von gestern. Von der Gesellschaft wünschen wir uns, dass sie darauf vertraut, dass starke und unabhängige öffentlichrechtliche Medien ihr den größten Nutzen bringen werden. Dafür allerdings müssen wir auch etwas tun – denn man wird uns das nur abnehmen, wenn wir wirklich ’public value‘ für alle liefern. Das sind fromme Wünsche, ich weiß.“
Funkkorrespondenz 41-42/2011, S. 36 ff.