Doch wenn man genauer hinschaut wird klar, dass strukturell niemand etwas ändern will. Schon beeindruckend, wer alles plötzlich Vielfalt für sich entdeckt. Unternehmen, Handwerkskammern und Fußballklubs. Alle feiern Vielfalt. Oder, wenn man sich als international und zukunftsgerichtet präsentieren möchte, dann heißt es »Diversity«. ….
Wer Vielfalt ernst nimmt, muss in der eigenen Behörde oder im Unternehmen erst einmal nach klaren Kriterien untersuchen, wie die Belegschaft zusammengesetzt ist. Das wissen die meisten gar nicht. ‚Migrationshintergrund‘ ist nicht besonders aussagekräftig für Afrodeutsche der dritten Generation, ‚Mensch mit Rassismuserfahrung‘ oder Schwarze und People of Color (PoC) hingegen schon. Aber da kommen wir genau an den Knackpunkt: Wollen Unternehmen, Behörden oder Redaktionen wirklich wissen, wie viele ihrer Angestellten diskriminiert werden und von wem? Dann müssten sie nämlich konkret etwas dagegen tun und strukturelle Veränderungen anstoßen. ….
(B)ei ‚Vielfalt‘ handelt es sich wohl eher um die desinfizierte Form von Antirassismus, weichgespült, häppchenweise serviert, tut niemandem weh. Wer nicht definiert, wie genau die Vielfalt in der betreffenden Behörde oder Unternehmen aussehen soll, wählt wahrscheinlich die einfachste Version. Also zum Beispiel: mehr weiße deutsche Frauen in Führungspositionen zu holen, was recht konsensfähig ist. Dann hat man was für Vielfalt getan und bleibt trotzdem noch unter sich.
Sheila Mysorekar, neues-deutschland.de, 02.03.2021 (online)