Die Sender gebärden sich, als hätten sie es mit einer Nation von Hilfsschülern zu tun, für die Nachdenken nichts als Folter bedeutet. Ein Programm, das ihnen auch nur eine Spur von Konzentration abverlangt, scheint verloren. Weltnachrichten in drei Minuten, das ist mehr als genug. Die Wetterberichte dürfen um so länger sein, die interessieren die Leute. Dazu Verkehrsmeldungen, Stauwarnungen, Pollenflugreporte, das ist Lebenshilfe, das erhöht unauffällig den Wortanteil und verdirbt nichts.
Oft höre ich, wie jemand interviewt wird und wie der Interviewer dem Jemand immer dann das Wort abschneidet, wenn der sich in eine Sache vertiefen will; wie immer dann die Zeit drängt, wenn es aufregend werden könnte; wie der Interviewer eine Frage stellt und dringlich anfügt, er bitte um eine knappe Antwort.
Und warum? Nicht, weil noch andere Erörterungen angestellt werden sollen, weil der Interviewer etwa einen neuen Aspekt ins Gespräch bringen möchte, sondern weil die Zuhörer nach Musik lechzen.
Jurek Becker: Die Worte verschwinden, Spiegel 2/1995, S. 160 (online)