Handbücher und wissenschaftliche Aufsätze darüber, wie Friedensjournalismus aussehen soll, gibt es viele, aber zu messen, ob diese Tipps und Kriterien in der Berichterstattung, bewusst oder unbewusst, befolgt werden, ist eine Herausforderung. Denn jeder Krieg, Konflikt und die daraus resultierende Konstellation an (internationalen) Parteien, Bündnissen, Narrativen und (militärischen) Feldzügen ist anders. Deshalb war meine Studie in vielerlei Hinsicht eine Pilotstudie und ein Vorschlag, welche Kriterien aus der Forschung sich auf die Berichterstattung über den Ukrainekrieg anwenden lassen – und welche nicht. […]
Die Anwendung, zum Beispiel des Konzepts der konfliktsensitiven Berichterstattung von Bilke, auf den Ukrainekrieg stellt eine besondere Herausforderung dar. Deutschlands Rolle im Ukrainekrieg ist die einer Konfliktpartei, nicht aber einer Kriegspartei, weshalb sich einige Kriterien nicht oder nur abgewandelt anwenden ließen. Zudem wird im Ukrainekrieg auch ein Kampf zwischen Demokratie und Autokratie ausgehandelt, was eine besondere Sorgfalt beim Finden einer friedensjournalistischen Perspektive erfordert. Die Forderung nach gleichberechtigter Perspektivenvielfalt kann in diesem Kontext problematisch erscheinen, da sie die Gefahr einer “False Balance” birgt, also der irreführenden Gleichsetzung von Aggressor und Verteidiger (Maurer, 2024). Hier gilt der kritische Objektivitätsbegriff, also dass die Berichterstattung „die zu berichtenden Sachverhalte so richtig, vollständig und präzise wie möglich darstellt“ (Bilke, 2005). […]
Demnach werden die Schaltgespräche in den analysierten Nachrichtensendungen nur teilweise den Anforderungen einer konfliktsensiblen Berichterstattung gerecht.
Positiv hervorzuheben ist, dass in den Bereichen „Bewertung der Kriegsparteien“, „Konfliktkontext“ und „Zukunftsperspektiven“ ein zufriedenstellendes bis hohes Maß an Konfliktsensibilität erreicht wird. Die Kriegsparteien, insbesondere Russland und die Ukraine, werden nicht ausschließlich durch stark wertende oder voreingenommene Berichterstattung thematisiert, sondern auch neutral eingeordnet. Beide Sendungen nehmen sich zudem in vielen Fällen Zeit, über das unmittelbare Kriegsgeschehen hinaus den größeren geopolitischen Kontext sowie mögliche Zukunftsperspektiven zu erörtern. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch klare Defizite in anderen Bereichen der Konfliktsensibilität. Besonders auffällig ist der Mangel an Perspektivenvielfalt: Zwar sind Russland und die Ukraine annähernd gleich stark vertreten, westliche Sichtweisen dominieren jedoch. Länder des Globalen Südens oder russische Verbündete, bleiben weitgehend unberücksichtigt. Das spiegelt eine einseitige Fokussierung wider und deckt sich mit früheren Studien zur Überrepräsentation westlicher Perspektiven […]
Auch Friedensinitiativen sind unterrepräsentiert. Zivile Bewegungen werden kaum erwähnt, militärische und politische Maßnahmen wie Waffenlieferungen oder Sanktionen stehen im Vordergrund. Dabei sind zivilgesellschaftliche Bemühungen ein zentraler Bestandteil konstruktiver Konfliktbearbeitung.
Henrike Utsch, ejo-online.de, 01.05.2025 (online)