Das Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern, ist ebenso wenig ein Grund, Meinungen zu beschränken, wie deren Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.
Nun wird der vorstehende Absatz mutmaßlich hier und da für Widerspruch oder gar Empörung sorgen. Dies würde dann der Beweis dafür sein, dass nicht hinreichend bekannt ist, was Meinungsfreiheit bedeutet. Denn der ganze Absatz entstammt Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2018. […]
Es ist wichtig, die Positionen auch der Menschen zu kennen und zu publizieren, die man ablehnt, die aber eine bedeutende politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Rolle spielen. Ein vergleichbares Aufbegehren wegen der Veröffentlichung der Texte von Putin oder Erdogan hat es nicht gegeben. […]
Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit und eine journalistische Errungenschaft der Welt, dass Musk Gelegenheit gegeben wurde, seine Position in einem Kommentar zu veröffentlichen. Nur Feinde des freiheitlichen Staates kritisieren das. Die adäquate Reaktion in einem Grundrechtestaat ist nicht die Kritik an der Veröffentlichung. Denn das ist Kritik an der Meinungsfreiheit selbst. Man reagiert, indem man seine Gegenposition publiziert. Das ist demokratischer Diskurs. […]
Es ist der Tiefpunkt des Journalismus, wenn man sich nicht mit aller argumentativer Überzeugung, über die man verfügt, gegen eine Position in Stellung bringt, sondern dem weltanschaulichen Gegner bereits das Recht absprechen will, sich überhaupt zu äußern. Wie kann man, erst recht als Journalist, überhaupt auf den Gedanken kommen, Kritik an der Veröffentlichung eines Artikels zu üben, der keine Gesetze verletzt, sondern den Schutz unseres Grundgesetzes genießt?
Joachim Nikolaus Steinhöfel, berliner-zeitung.de, 31.12.2024 (online)