Es geht in der Demokratie um Konflikte, um handfeste Interessen und die Konkurrenz um die bessere Lösung. Das muss vor allem dadurch zusammengehalten werden, dass demokratische Spielregeln und Verfahren eingehalten werden, nicht durch ein imaginiertes „Wir“, das mir immer wie eine Durchhalteparole wirkt. […]
Starke moralische Appelle sind an sich schon ein Krisenphänomen, weil sie auseinanderstrebende Kräfte einfangen wollen. Ich würde eher für mehr Indifferenz plädieren. Also für einen gesellschaftlichen Umgang, der Pluralität aushält, der unterschiedliche Lebensformen nebeneinander akzeptiert. Das geht gerade stark verloren. Das gilt in allen politischen Spektren: für die linke Identitätspolitik ebenso wie für die nationalistische Identitätspolitik.
Armin Nassehi, sueddeutsche.de, 31.01.2025 (online)