Wenn wir, neben den spielfilmischen, auch die realeren Bilder vom Krieg vor unserem inneren Auge haben, so sind diese bei jedem und jeder sicher ganz unterschiedlich. Klar ist dabei, dass alle Bilder, schon daher, weil sie für den Betrachter nur Bilder und eben kein ‚Selbst-in-der-Bild-Situation-sein‘ sind, stets Lügen in sich bergen. Es ist nur die Frage, wie hoch der Lügen-Anteil am Ganzen und Nicht-Sichtbaren ist, und ob dieser vorsätzlich ist. Bei Spielfilmen wie „Top Gun“ kann man den Vorsatz als gegeben annehmen. Bei Bildern der Kriegsberichterstattung nicht zwingend. Sie kommen teils nüchtern und neutral daher. Daher können sie unsere Wahrnehmung derart stark bestimmen. […]
Wozu soll ich wissen, wie eine Rakete aussieht? Wäre es nicht wichtiger für den Meinungsbildungsprozess, den Medien verantwortungsvoll mitgestalten sollten, dass der Betrachter und Bürger die letztliche Zielbestimmung oder zumindest die Wirkung dieser Rakete sieht? Zerstörte Gebäude, zerstörte Leben, Blut überall. Würde der Bildbetrachter die potenziellen Taurus-Verheerungen sehen und nicht den Haifisch-ähnlichen, ungebrauchten Körper der Rakete mit ihren imponierenden Messwerten, könnte er sich ein vollständigeres Bild und Urteil davon machen, ob er selbst für oder gegen eine Lieferung dieser heißen Waffe ist. Bisweilen sind zwei Drittel der Deutschen gegen die Lieferung, im Osten des Landes sind es gar 78 Prozent. Doch Kanzler Merz könnte anders entscheiden. Sollte es dazu kommen, werden wir uns in vielen Medien mit einer Bilderflut konfrontiert sehen, die diese Entscheidung legitimieren soll – denn sie würde zugleich die letzten Hoffnungen begraben, Deutschland könnte eine konstruktive Rolle bei den unausweichlichen Verhandlungen führen, die es jetzt mit anzustoßen scheint.
Jan Opielka, berliner-zeitung.de, 17.05.2025 (online)