Meiner Erinnerung nach ging es bei der Revolution von 1989 bis zum 9. November um Freiheit in der DDR, und die deutsche Einheit wurde federführend von westdeutschen Politikern geplant und gestaltet. Auf dem Sockel des „Kanzlers der Einheit“ steht daher auch nicht das Bildnis von Lothar de Maizière, sondern von Helmut Kohl.
Der Slogan „Wir sind das Volk“, der Biebls Denkmal den Titel gibt, fand 1989 seinen Weg von den Friedensgebeten in der Leipziger Nicolai-Kirche auf die Straßen und führte dazu, dass aus dem vereinzelten Protest von Dissidenten eine Massenbewegung wurde, die das Leben in der DDR demokratisieren wollte. Bürgerliche Rechte, freie Wahlen, Reise- und Meinungsfreiheit waren ihr Ziel, manchmal auch nur die Rettung der verfallenden Altstädte oder bedrohter Landschaften. Am Ende aber brachte dieser Aufstand die SED-Diktatur zu Fall und führte zur ersten frei gewählten Regierung dieses Landes. Die Revolution im Osten war kein kollektiver Sturm auf die Mauer, sondern wollte die DDR verändern. […]
Das Positive war aus meiner Sicht das Interim. Diese kurze Zeit der noch bestehenden DDR und der offenen Mauer, dieses Lächeln darüber, dass die Revolution geklappt hat, die Mieten billig sind und die Zukunft ein Spiel. Naiv und doch wirklich. Intuitiv glaube ich, dass Wolfgang Thierse diese Zeit meint, wenn er im Hinblick auf das von ihm ersehnte Denkmal vom „glücklichsten Moment in der Geschichte der Deutschen“ sprach.
Ein diesem Moment gewidmetes Denkmal würde keine staatstragende Idee feiern, sondern die Staatsaufhebung und -erfindung, jene Zeit, da ost- und westdeutsche Juristen an der Humboldt-Uni an einem Verfassungsentwurf der republikanischen DDR schrieben, den sie für die spätere Verhandlung einer gesamtdeutschen Verfassung in Nachfolge des provisorischen Grundgesetzes der Bundesrepublik entwarfen.
Thomas Oberender, berliner-zeitung.de, 2.10.2023 (online)