Der Berliner Sozialwissenschaftler Mohammed Ali Chahrour beschäftigt sich mit sogenannter Clankriminalität und hat mit seinem Nachnamen selbst schon unangenehme Situationen erlebt. Im Interview spricht er über einen aufgeladenen Begriff und darüber, was er von Razzien und präventiven Abschiebungen hält. […]
Die Vorstellung, die man in Deutschland von den sogenannten Clans hat, kommt ursprünglich aus der Polizeiarbeit. In Lagebildern zur organisierten Kriminalität war da plötzlich von „ethnisch abgeschotteten Subkulturen“ die Rede. Was das aber genau sein soll oder wer alles dazugehört, weiß eigentlich keiner. Beziehungsweise: Abgeschottete Subkulturen gibt es auch in Prenzlauer Berg. […]
Menschen werden auf ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe reduziert und dabei zu potenziellen Kriminellen gemacht. Wollen wir wirklich einen Begriff von Kriminalität, der dort ansetzt, wo die biologische Existenz von Menschen beginnt, in ihren Familien? Stammbaumforschung ist nicht nur die schlechteste Ursachenforschung, die es gibt, der Ansatz gehört auch in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da sollten wir in Deutschland nicht wieder hingehen. […]
Ja, aber nur 0,18 bis 0,6 Prozent der Massenkriminalität werden bundesweit den sogenannten Clans zugerechnet. Viele Delikte, die in die zahllosen Lagebilder der Polizei einfließen, sind nicht einmal von strafrechtlicher Relevanz, sondern betreffen Ordnungswidrigkeiten. Ich halte das nicht für signifikant im Verhältnis zur politischen Gewichtung, die das Thema hat. Die Leute sagen immer, man soll das Problem beim Namen nennen. Ich finde: Man soll es beim Namen nennen, aber das ist nicht die ethnische Herkunft. (Paid)
Verena Mayer, sueddeutsche.de, 03.11.2023 (online)