Helen Mirren spielt in einem Kinofilm die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir. Jetzt hat sie Ärger, weil sie selbst keine Jüdin ist. […] Darf Mirren Meir spielen? Die Frage ist vielmehr, warum diese Frage neu ist in einer so durchsensibilisierten Branche. Geht die Unterhaltungsindustrie mit Antisemitismus anders um als mit der Diskriminierung von Schwarzen oder Transpersonen? Den gleichen Stellenwert hat Antisemitismus nicht – Diskriminierung geht von oben nach unten, und in Hollywood gibt es wahrscheinlich mehr jüdisches Führungspersonal als irgendwo sonst. … Eines der Argumente, die Caroline Fourest in ihrem Buch „Generation Beleidigt“ von 2019 für ein offenes Besetzen von Rollen ungeachtet der Herkunft anführt, ist, dass es in Filmen meist um eine Person geht und nicht um alle Menschen der ethnischen Zugehörigkeit dieser einen Person. „Castings aufgrund von DNA-Tests?“ heißt das Kapitel, in dem das steht. Wenn man konsequent verlangt, dass statt sich in der Schauspielerei zu üben ein jeder und eine jede nur das verkörpern darf, was sie oder er schon ist, liefe das auf die Abschaffung des Berufs aus, es heißt ja Schauspiel.
Susan Vahabzadeh, sueddeutsche.de, 4.2.2022 (online)