Als Massenmedium und kollektive Kunstform des 20. Jahrhunderts ist das Kino vielleicht gestorben, das alte System ist längst kollabiert. Aber inzwischen ist es wiederauferstanden, in neuen Formaten. Das Kino ist heute sehr lebendig, in einem radioaktiven Sinne. Es ist überall um uns herum und in uns, in unseren Genen, unserem Blut. Weswegen es gerade heute so aufregend ist, in den Künsten tätig zu sein, weil wir uns enormen technologischen Herausforderungen gegenübersehen, die darüber entscheiden, wie wir in Zukunft leben werden. […]
Am Ende des Tages verkörpert Kino etwas, was nie verschwinden wird: das Vergnügen an einer gemeinsamen Erfahrung. Das Kino hat sich ursprünglich nicht so sehr um die technischen Innovationen gedreht. Es ging um die Tatsache, dass Menschen gemeinsam etwas sehen und hören konnten. Gerade die Pandemie hat bewiesen, dass menschliche Wesen nicht isoliert voneinander leben können. […]
Wir sprechen heute so viel über Content, aber nicht darüber, warum wir ihn produzieren. Die Werbung, die Wegwischbilder, die austauschbaren Formate der Streamer: Wer braucht das ganze Zeug ohne tiefere Bedeutung? Niemand. Content ist unser Untergang in einer untergehenden Welt. Dabei können gerade Filme die Grenzen der Netzhaut überwinden, in den Geist eindringen! Aber dazu müssen sie erst einmal verletzen, Spuren hinterlassen. Stillstand und Schweigen können verletzen.
Nicolas Winding Refn, sueddeutsche.de, 09.01.2024 (online)