Bertolt Brechts kurze Rede über den “Rundfunk als Kommunikationsapparat”, 1932 verfasst, ist bis heute einer der klassischen Texte der Medientheorie. Darin problematisiert er das Radio als “distributives” Medium, in dem ein Sender viele Empfänger anspricht, und fordert, den Empfänger zum Sender und damit den Rundfunk zum Kommunikationsapparat zu machen, der die Masse sprechen lässt. Mit der Frage des Verhältnisses von Produzent*innen und Konsument*innen und der Frage nach dem emanzipatorischen Gehalt moderner Massenmedien, weist Brecht sowohl auf ein Grundproblem der Medienwissenschaft, als auch auf eines der Medientheorie hin. Die “Social Audio”-App Clubhouse scheint rein technisch die Erfüllung von Brechts Forderung: jede*r kann mitdiskutieren, alle sind verschaltet und reden. Trotzdem stellte sich schon eine Woche nach dem Deutschlandstart die Erkenntnis ein, die Brecht erst neun Jahre nach der Einführung des Radios formulierte: “Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.” …. Was all diese Interpretationen Brechts verbindet, ist, dass sie ausgerechnet ihn als einen rein mit technologischen Aspekten von Medien beschäftigten Theoretiker lesen, der der Technik selbst revolutionäres Potential zuschreibe, anstatt sich zu fragen, in welche gesellschaftlichen Zustände Medien eingebettet sind und wie diese Zustände Form und Inhalt der Medien bestimmen. Der entscheidende Schlusssatz seiner Rede weist schon darauf hin: “Undurchführbar in dieser Gesellschaftsordnung, durchführbar in einer anderen…” Gerade die in den fürs Radio geschriebenen “Lehrstücken” im Vordergrund stehende Frage nach dem Verhältnis des Individuums zum Kollektiv und dem von Technik und Gesellschaft zeigt, dass Brecht sich keineswegs nur damit aufhielt, wie die Technik umzuorganisieren sei, um das Radio einem revolutionären Gebrauch zuzuführen. …
Brecht wollte im Theater wie im Radio Rezipient*innen erzeugen, die aktiv am Geschehen auf der Bühne und im Lautsprecher teilnahmen und das Gesehene und Gehörte eigenständig kritisch reflektierten. Für die Arbeiter-Radio-Klubs wie die Freien Radios war immer gesellschaftliche Transformation das Ziel; keiner (auch Brecht nicht) machte sich dabei die Illusion, das sei allein über Medien zu erreichen. “
Robert Heinze, 54books.de, 31.01.2021 (online)