Meine Depression war eine gesunde Reaktion auf ein krankes System, ja. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich besser dosiere, Dreharbeiten und Interviews begrenze. Also vor allem diese Tage, wo alle sieben Minuten jemand reinkommt und dann so eine Actionfigur Tschirner angeht, die auf Adrenalin ist und eine einzige andauernde Übersprungshandlung. …. Vor Dreharbeiten muss man als Hauptdarsteller zum Versicherungsarzt, und die Versicherung entscheidet, ob sie dich versichert oder nicht. Man entbindet Ärzte und Versicherungen dafür von ihrer Schweigepflicht – was krass ist, weil der Arbeitgeber eigentlich kein Recht hat, von Krankheiten vorab zu erfahren. Und wenn ich angebe, dass ich in den vergangenen fünf Jahren psychische Erkrankungen gehabt habe, kommt die nächste Frage: Ist deswegen irgendwann ein Drehtag ausgefallen? Egal ob die Antwort ja oder nein lautet, die Produktion wird sich daraufhin gut überlegen, ob sie es sich leisten will, dich zu besetzen. …. Ganz klar: Ich war Versicherungsbetrüger. Ich habe in diesen Fragebögen kategorisch gelogen, weil ich sonst keinen Job mehr bekommen hätte. Es gab nie Ausfälle wegen mir. Es wurde sehr viel Geld mit mir verdient. Ich habe auch viel Geld verdient. Aber wahre Angaben hatte ich nie gemacht. Das wie ich jetzt öffentlich zu machen, kann sich natürlich nicht jeder leisten.
Nora Tschirner, SZ-Magazin, 16.04.2021 (online)