Zitiert: Der Westen als Norm – Ost-West-Diskrepanzen bei deutschen Literaturpreisen?

Bei Literaturpreisen haben es vor allem ostdeutsche Autoren und Literatur nicht immer leicht. Wo liegt der Kern des Problems?

Am Thema Literaturpreise kann man sich erhitzen. Noch mehr am Thema Literaturpreise an Ostdeutsche. Was auf keinen Fall stimmt, ist die Unterstellung, dass überwiegend die „richtige“ Haltung gefeiert wird und Flucht-, Opfer-, Widerstandsgeschichten hoch im Kurs stehen würden. […]

Und im Rückblick: Von 1986 bis 1990 ging der Bachmann-Preis in Serie an die Ostdeutschen Katja Lange-Müller, Uwe Saeger, Angela Krauß, Wolfgang Hilbig und Birgit Vanderbeke und 1993 noch nachgereicht an Kurt Drawert. Die Sache mit den Preisen ist schwieriger […]

Für Juroren ist es das Berufsbild: Der eine sieht es so, der andere anders. Das gilt erst recht für Juroren mit altbundesdeutscher Herkunft, die an den Schalthebeln vermutlich sämtlicher großen deutschen Literaturpreise sitzen. […]

Feuilleton ist ein oft wiederkehrendes Reizwort. Es ist für Bücher ein wichtiger Produktbeschleuniger – und es fällt für Ost-Autoren weitgehend aus. Darauf kommen in ihren Antworten Kerstin Hensel, Reinhard Kuhnert und Ingo Schulze zu sprechen. Hensel bietet eine Erklärung: „Auffällig ist, dass in der Literaturkritik, im Feuilleton, keine oder kaum ostdeutsche Kritiker vertreten sind. Das halte ich wirklich für ein Problem.“ […]

Michael G. Fritz aus Sachsen (Jahrgang 1953, lebt in Dresden, zuletzt veröffentlicht: „Auffliegende Papageien“, Roman) hat auch etwas ausgezählt. Die Zahl der Ex-DDR-Schriftsteller, die mit vom Feuilleton geführter Hand in den deutschen Schoß aufgenommen worden sind: „Man braucht von meiner Generation ganz oben nicht mehr Schriftsteller aus dem deutschen Osten als diejenigen, die man aufgebaut hat. Die Namen sind bekannt. Es hängt auch mit dem Markt zusammen, der möglicherweise nicht mehr als die wenigen bekannten verträgt. Sonst müsste der Kuchen noch mehr geteilt werden.“ […]

Im Versteck der Normalität lauert die Sünde: „Der Westen wird als Normativ angesehen, der Osten als auf dem Weg dahin oder, das ist auch noch lobend gemeint, als ‚angekommen‘“, schreibt Ingo Schulze. In diesem Problem zeigt sich sage und schreibe im 34. Jahr der deutschen Einheit der tief verinnerlichte Anspruch auf Deutungshoheit des Westens, wie fast immer vertreten vom Feuilleton. […]

Was bleibt (gefährliche Frage seit dem Literaturstreit in den frühen 90ern) als Fazit, als These: Die Vergabe von Literaturpreisen an ostdeutsche Autorinnen und Autoren ist es nicht, die immer noch Risse im Literaturland zeigt. Dann schon eher der Wille der Literaturbevollmächtigten, in Jurys und Feuilleton an den Hebeln zu bleiben. Wir sagen, was gut ist. Die Formulierung vom Westen als Norm wäre umzuschreiben. Neu heißt sie: Wir machen die Norm, für uns, für euch, für alle. (Mehr unter Medienpreise)

Michael Hametner, berliner-zeitung.de, 14.12.2023 (online)

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Zitat der Woche
Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)