Was mir damals nicht klar war: Die größte Einschränkung der Freiheit sollte für uns Journalisten nicht von einem unkonventionellen Verleger, sondern von außen und durch uns selbst kommen. Die hereinbrechenden Krisen – Corona, Krieg – sollten einen Konformitätsdruck erzeugen, der an die Substanz ging. Alle Medien spürten diesen Druck. Wir waren es nach vielen Jahrzehnten der behaglichen westeuropäischen Langeweile nicht mehr gewohnt, die Nerven zu behalten, wenn um uns herum Angst, Panik und Unsicherheit herrschten. Wie alle Medien waren auch wir den PR-Maschinen aus Politik und Industrie hoffnungslos unterlegen. Alle sicherten sich ab, indem sie auf die Kollegen schielten, dasselbe schrieben und hinter einer Brandmauer der Gleichförmigkeit Schutz suchten: Wer konnte schon beurteilen, was richtig war? Wer es in diesem Umfeld wagte, den Kopf herauszustrecken, wurde von einem erstaunlich homogenen Kollektiv zurückgepfiffen.
Michael Maier, berliner-zeitung.de, 13.09.2024 (online)