Für den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen Schreiben, Wirklichkeitsaneignung und den materiellen Austauschprozessen des so Hervorgebrachten gibt es in der linken Tradition unter anderem den Begriff »Literaturverhältnisse«. Er geht bis zu Lenin und Johannes R. Becher zurück, wurde Kritik im besseren Sinne mit Walter Benjamin und Bertolt Brecht, fand später eine Fortsetzung bei Georg Lukács und Theodor W. Adorno – und immer so weiter.
Literaturverhältnisse heißen absichtlich so ähnlich wie Produktionsverhältnisse, weil mit dem Begriff alle Beziehungen in den Blick rücken, die Menschen eingehen – hier: wenn sie Bücher schreiben, produzieren, verkaufen, konsumieren. Diese Verhältnisse ändern sich, wenn sich die Ressourcen wandeln, die für diese (Literatur-)Produktion zur Verfügung stehen. …
Die Probleme kleiner Verlage, Medienproduktionen, Zeitungen und so fort sind nicht dieselben wie jene der Großen, der Konzerne. Es macht einen Unterschied, ob man sich bei Nichtfunktionieren der Formel G-W-G’ einfach ein neues Geschäftsmodell suchen kann. Oder ob mit der ökonomischen Krise der Produktion, Verteilung und Aneignung sich die Probleme auf einen Punkt zuspitzen, an dem die Voraussetzungen kritischen Denkens fehlen. Aufklärung lässt sich nicht durch ein neues Produkt ersetzen. …
Es ginge nicht nur Zukunft verloren (von den Jobs ganz zu schweigen), sondern auch Wissen um vergangene Versuche, diese Zukunft in progressiver Absicht zu verändern (…) So notwendig das linke Gedächtnis ist, so ökonomisch gefährdet ist es mit der Krise linker Verlage und Zeitungen: Wie halten wir es zugänglich, wenn die heutigen Träger dies nicht mehr können? Wer vertritt und erneuert dieses Gedächtnis, wer bereitet es den Heutigen auf?
Tom Strohschneider, Neues Deutschland, 03.05.2019 (online)