Der neueste Trend nennt sich NPC-Streaming. Dabei verhalten sich die Protagonisten wie Charaktere in einem Computerspiel. Typischerweise sind deren Dialoge und Verhalten vorprogrammiert, und genau diese Muster werden von den Darstellern imitiert. Jedes Mal, wenn ein Zuschauer ein Trinkgeld spendet, gibt der Streamer die gleichen Sätze von sich oder führt die gleichen Bewegungen aus.
Der Entertainer wird auf diese Weise zum Roboter, mechanisch, ohne eigene Motivation oder inneren Dialog, fernsteuerbar. Im Zeitalter von künstlicher Intelligenz ist das freilich eine naheliegende Reaktion auf den Zeitgeist, wenn auch unbewusst. […]
Umgerechnet kosten die einzelnen Gifts die Zuschauer meistens nicht mehr als ein paar Cent. Es ist die Masse, die es macht. Marktforscher schätzen, dass die Nutzer durch die gamifizierten Mikrotransaktionen mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Quartal ausgeben.
Um die virtuellen Geschenke zu erhalten, müssen die Zuschauer eine zweite Währung namens Coins über die App kaufen. Und wenn Käufe über Apple oder Google getätigt werden, erhalten diese Unternehmen eine Provision. Die Streamer verdienen also Geld für Tiktok, das wiederum den globalen Tech-Giganten Geld einbringt. Die ökonomische Nahrungskette in der medialen Jetztzeit ist lange und kompliziert.
Michael Moorstedt, sueddeutsche.de, 17.08.2023 (online)